Pünktlichkeit ist eine Schweizer Kardinaltugend, Verspätungen sind hierzulande nicht gern gesehen. Das gilt auch für den öffentlichen Verkehr. Auch wenn sich die Abfahrt eines Busses oder Zuges nur um wenige Minuten verzögert, ärgern sich die Fahrgäste.
Doch Verspätungen sorgen nicht nur für genervte Passagiere an Busstationen und auf Perrons. Im dicht getakteten Fahrplan haben sie oft Auswirkungen auf das gesamte ÖV-Netz. Die Planung eines möglichst reibungslosen Fahrplans ist deshalb eine grosse Herausforderung. Die SBB als grösstes Unternehmen des öffentlichen Verkehrs holen sich nun die Unterstützung von Programmier-Cracks aus der ganzen Welt – mithilfe eines Wettbewerbs.
Auf der Plattform crowdAI.org haben die SBB vergangene Woche eine sogenannte «Train Schedule Optimisation Challenge» ausgeschrieben. CrowdAI ist eine Plattform für Open-Data-Wettbewerbe. Sie wird von der Eidgenössischen Hochschule EPFL in Lausanne betrieben und von Universitäten, Behörden, NGOs und Unternehmen genutzt.
Das Ziel des Wettbewerbs: Die Teilnehmer sollen den SBB mit kreativen Ideen dabei helfen, einen Algorithmus für den Entscheidfindungsprozess bei der Erstellung von Fahrplänen zu entwickeln. Seit dem 10. August stehen das Datenset und die Problemstellungen online zum Download bereit. Die Teilnehmenden haben nun bis zum 9. November Zeit, ihre Beiträge einzureichen.
«Wir erhoffen uns ergänzende Denkanstösse durch externe Stellen, die dann möglicherweise in die digitale Zukunft der Bahn Eingang finden könnten», erläutert SBB-Sprecher Daniele Pallecchi das Ziel des Projekts auf Anfrage von watson. Erkenntnisse aus dem Wettbewerb könnten gemäss Pallecchi schon «sehr bald» in die Planung des Fahrplans miteinfliessen.
Beim Projekt werde zudem getestet, «ob Crowdsourcing eine ergänzende Quelle für neue Algorithmen oder Lösungskonzepte sein kann» – nebst der Hochschulforschung und der internen Entwicklung, auf welche die SBB bereits heute setzen.
Die SBB transportieren täglich 1,2 Millionen Passagiere und 210’000 Tonnenkilometer Fracht. Angesichts dieser Dimensionen sei das Erstellen eines Fahrplans ein hochkomplexes algorithmisches Problem, heisst es in der Projektbeschreibung.
Zu dieser Komplexität tragen insbesondere die Unmöglichkeit des Überholens unterschiedlich schneller Züge auf dem Schienennetz bei. Auch die Interdependenz der verschiedenen Züge – vereinfacht gesagt, dass die Anschlüsse garantiert werden müssen – verkompliziert das Unterfangen.
Die derzeitigen IT-Systeme der SBB unterstützten den Planungsprozess bei den Fahrplänen nur beschränkt und helfen kaum beim Erkennen und Lösen von Fahrplan-Konflikten. Deshalb hänge die Problemlösung hauptsächlich von Wissen und Erfahrung der Menschen ab, welche die Fahrpläne erstellen.
Doch offenbar stossen die SBB-Planer langsam an ihre Grenzen – trotz der «seit Jahrzehnten unbestrittenen Fahrplan-Planungskompetenz», wie Sprecher Daniele Pallecchi formuliert.
Ohne Verbesserungen seien die Fahrplan-Planer der SBB nicht mehr in der Lage, die stetig wachsenden Anzahl Züge zu bewältigen, heisst es in der Wettbewerbsbeschreibung. Auch die Folgeeffekte bei Störungen seien zunehmend schwieriger zu kontrollieren.
Auf dem Markt sei «keine kommerzielle Software erhältlich», welche die nötigen Aufgaben auf der Skala bewältigen kann, auf welcher die SBB operieren. Deshalb setzen die Bundesbahnen auf die Innovationskraft von Computer-Cracks. Den besten Beitrag prämieren die SBB mit 7000 Franken, für den 2. und 3. Rang lassen sie 5000 bzw. 3’500 Franken springen.
Für SBB-Sprecher Pallecchi eine korrekte Entlöhnung. Das komplexe mathematische Problem sei offensichtlich ein spannendes Forschungsgebiet, wie der internationale Teilnehmerkreis beweise. Alle Teilnehmer dürften ihre wissenschaftlichen Resultate international publizieren: «Auf diese Weise können sich herausragende Talente international präsentieren.»