Das Ende der Atomkraftwerke kommt, die Frage ist nur wann. Kurz nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima beschloss der Bundesrat den Atomausstieg. Seither streiten die Politiker über den richtigen Zeitpunkt – diese Woche im Nationalrat. Doch was bedeutet die Abschaltung der Reaktoren Leibstadt sowie Beznau I und II für die beiden Aargauer Standortgemeinden?
Die Frage beschäftigt die Gemeinderäte von Döttingen und Leibstadt. Der Leibstadter Ammann Christian Burger rechnet damit, dass das AKW in seiner Gemeinde bis 2045 Strom produziert, das würde einer Laufzeit von 60 Jahren entsprechen. Doch über die Laufzeiten entscheidet die Politik, die Unsicherheit bleibt.
Die Atomausstiegsinitiative der Grünen etwa fordert die Abschaltung nach 45 Jahren – 2029 hiesse das für Leibstadt. «Wohin das Pendel schlägt, ist für uns schwer abzuschätzen», sagt Burger. Mit Blick auf die Zeit danach baut Leibstadt unter anderem das Standortmarketing aus. Die Ziele: Wachstum, neue Unternehmen und gute Steuerzahler gewinnen.
Steuerausfälle in Millionenhöhe erwarten beide Gemeindeammänner. Einen Vorgeschmack darauf, was auf sie zukommen könnte, erhalten die Döttinger bereits jetzt: Der Steuerfuss steigt von 80 auf 95 Prozent, weil der Energiekonzern Axpo als wichtigster Steuerzahler weniger Gewinn macht. Dennoch bekommt die Standortgemeinde der AKW Beznau I und II rund zwei Millionen an Aktiensteuern pro Jahr – rund ein Drittel der gesamten Steuereinnahmen.
Gemeindeammann Peter Hirt spricht von einem «Klumpenrisiko». Er rechnet nicht damit, dass ein Unternehmen in dieser Grössenordnung nach Döttingen kommen und die Steuerausfälle ersetzen wird. «Ausgaben möglichst tief halten und den Steuerfuss erhöhen», lautet deshalb Hirts Rezept für die Zukunft.
Die AKW-Betreiberin Kernkraft Leibstadt AG zahlt Leibstadt die mit Abstand höchsten Beträge in die Gemeindekasse ein: Knapp eine Million Franken an Aktiensteuern jährlich. Zwar ist der Betrag infolge der Steuergesetzrevisionen über die Jahre stark gesunken, er macht aber noch immer rund einen Viertel der Einnahmen aus.
Dazu kommen weitere Vorteile für die AKW-Standortgemeinde: Eine Stiftung, die jährlich 350'000 Franken für Kultur- und Sport-Veranstaltungen abwirft sowie Alterswohnungen betreibt. Und 25 Prozent vergünstigter Strom für alle Strombezüger in Leibstadt. Ausserdem finanziere die AKW-Betreiberin verschiedene Projekte, beispielsweise einen Waldlehrpfad, sagt Christian Burger. Die Vorteile würden den Nachteil überwiegen, bei anderen Gemeinden als AKW-Dorf zu gelten.
Dazu kommen die Arbeitsplätze: Rund 500 in Leibstadt, rund 500 in Beznau I und II. Im Fall von Leibstadt sind das die Hälfte aller Arbeitsplätze der Gemeinde. Etwa 50 Einwohner arbeiten für das Leibstadter AKW. Etwa 80 Döttinger verdienen ihr Geld in Beznau I und II.
Ein Teil der Arbeitsplätze dürfte aber auch nach der Abschaltung erhalten bleiben. Denn der Rückbau der Reaktoren wird einiges an Zeit brauchen. Allein die Stilllegungsphase dauert fünf Jahre, darauf folgt der Rückbau, der schätzungsweise nochmals zehn Jahre in Anspruch nehmen wird.
Dafür werden qualifizierte Arbeitskräfte benötigt. Wie viele es genau sein werden, können die Betreiber der beiden Atomkraftwerke derzeit nicht sagen. Die Gemeindeammänner von Leibstadt und Döttingen sind optimistisch, dass rund die Hälfte der aktuellen Belegschaft ihr Geld auch über den Abschalttermin hinaus im AKW verdienen wird.