Eine Frage stellte die Staatsanwältin immer wieder: «Warum mussten die vier Menschen sterben?»
In der ersten Einvernahme gestand Thomas N. die Tat, doch zum Motiv sagte er nichts.
In der zweiten Einvernahme antwortete er, es sei ums Geld gegangen. Er habe seine Mutter angelogen, er würde in Bern eine Doktorarbeit machen. Ein Raubüberfall sei das kleinere Übel gewesen als vor die Mutter zu stehen und ihr zu sagen, dass er nicht einmal den Bachelor hatte.
In der fünften Einvernahme sagte er, es sei auch darum gegangen, seine pädophile Ader ausleben zu können.
In der Schlusseinvernahme sagte er, am Anfang sei das Geld das Motiv gewesen, doch danach habe das Sexuelle das Geld abgelöst.
In der Hauptverhandlung vor Gericht distanzierte er sich von seiner Aussage, ein Raubüberfall sei das kleinere Übel gewesen.
Der Richter stellte die Frage nochmals: «Warum, Herr N., hat es zu diesen Tötungen kommen müssen?» N. sagte nichts und dachte nach. «Das ist eine schwierige Frage», stammelte er, schaute auf den Tisch, wog den Kopf hin und her, öffnete den Mund, sagte dann vorerst aber doch nichts. Dann sprach er in Stichworten: «Die Tat vertuschen. Angst, Schande. Das waren die Hintergedanken am Anfang.»
Der Richter hakte nach: «Welche Komponente dominierte bei Ihnen, sodass Sie diese Tat begingen?» N. antwortete: «Das Sexuelle. Am Anfang waren es die Geldprobleme. Das Sexuelle war nachher das, was es weitergeführt hat, was den Gedanken am Leben erhalten hat.»
Das Gericht bestellte bei den Psychiatern Josef Sachs und Elmar Habermeyer je zwei Gutachten, eines zum Krankheitsbild und eines zum Deliktmechanismus. Habermeyer schrieb, dass es eigentlich nicht seine Aufgabe sei, ein Delikt zu erklären, sondern nur Diagnosen zu erstellen. Vage führte er aus, dass verschiedene Motive zusammengespielt hätten, die sich nicht voneinander trennen liessen. Sowohl die Persönlichkeitsstörung als auch die Pädophilie hätten einen Einfluss gehabt.
Sachs hielt fest, N. habe die Tat wegen seiner Pädophilie begangen. Er habe sich aber geschämt, sich dies einzugestehen. Das Vermögensdelikt sieht er als «Verpackung» des Sexualdelikts. Mit anderen Worten: N. soll sich eingeredet haben, dass er die Familie überfallen wollte, um an Geld zu kommen, dabei habe er eigentlich nur seine sexuelle Lust auf Kinder befriedigen wollen.
In seinem schriftlichen Urteil schrieb das Lenzburger Bezirksgericht, die Beweggründe des Beschuldigten seien «absolut unverständlich». Seine Aussagen dazu seien «äusserst beliebig und widersprüchlich» sowie «wenig glaubhaft». Obwohl es sich teilweise um Lügengeschichten handelt, blieb dem Gericht nichts anderes übrig, als sich in seinem Urteil auf diese abzustützen. Da es keine Tatzeugen gibt, ging das Gericht von der Version aus, die der Täter geschildert hatte, ausser in jenen wenigen Punkten, in denen Beweise das Gegenteil belegten.
Eine Wahnsinnstat kann man nicht erklären. Spielt es eine Rolle, was im Kopf eines Vierfachmörders abging?
Frank Urbaniok ist der Meinung, dass dies sogar der entscheidende Punkt der Gerichtsverhandlung sein sollte. Zwanzig Jahre lang hat er als Chefarzt des Psychiatrisch-Psychologischen Dienstes des Kantons Zürichs die Gefährlichkeit von Straftätern eingeschätzt. Im Interview mit dieser Zeitung sagte er: «Wenn man nicht weiss, warum jemand eine Tat begangen hat, dann weiss man auch nicht, was sich ändern müsste, damit das Risiko für einen Rückfall sinkt.» Deshalb könne man nicht sagen, dass N. therapierbar sei. Und: «Wenn die diagnostizierte Persönlichkeitsstörung der Grund für das Delikt wäre, dann gäbe es in der Schweiz jede Woche eine solche Tat.» Dasselbe gelte für die Pädophilie: «Einige Pädophile begehen Sexualdelikte, aber sie bringen keine Menschen um.»
In der Gerichtsverhandlung wird es nicht um die Strafe gehen, diese ist rechtskräftig. Die Parteien streiten nur noch um die Massnahmen. Die Bedingungen für diese hängen von den Therapiemöglichkeiten ab. Im Gerichtssaal wird einmal mehr die Frage im Raum stehen: Warum mussten die vier Menschen sterben?
Die Staatsanwältin wird auf ihre Frage keine Antwort erhalten. Heute, drei Jahre nach der Tat, will Thomas N. nicht mehr über sein Motiv sprechen. Von der Verhandlung liess er sich dispensieren. Die Richter finden das in Ordnung, sie bewilligten sein Gesuch.