Es geht vorwärts mit der «Ehe für alle»: Schwule und Lesben sollen in der Schweiz künftig heiraten und Kinder adoptieren dürfen. Das hat die Rechtskommission des Nationalrats am Freitag entschieden.
Ein erster Schritt in diese Richtung ist bereits getan: Seit diesem Jahr gibt es in der Schweiz Familien, in denen die Kinder offiziell zwei Mütter oder zwei Väter haben. Möglich macht es eine Änderung des Adoptionsrechts, die am 1. Januar in Kraft getreten ist. Seither steht gleichgeschlechtlichen Paaren die Stiefkindadoption offen.
Wie watson-Recherchen zeigen, wird die Möglichkeit rege genutzt. Seit Anfang Jahr sind bei den zuständigen Behörden bereits Dutzende Gesuche eingegangen. Oft stammen sie von Lesbenpaaren, die sich ihren Kinderwunsch mithilfe eines Samenspenders erfüllt haben. Bisher wurde nur die Frau, die das Kind ausgetragen hatte, als Mutter anerkannt. Neu kann ihre Partnerin das Kind unter bestimmten Voraussetzungen adoptieren. Dadurch erhält auch sie alle elterlichen Rechte und Pflichten.
Vatersein ist nun ebenfalls im Doppel möglich: Bei Männerpaaren geht es oftmals um Babys, die von einer Leihmutter im Ausland geboren wurden. Obwohl es sich um eine rechtliche Grauzone handelt – Leihmutterschaft ist in der Schweiz illegal – muss der biologische Vater des Kindes in der Schweiz als Elternteil anerkannt werden. Das haben der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und das Bundesgericht entschieden. Adoptiert nun der Lebenspartner des anerkannten Vaters das Kind, wird er als zweiter Vater im Personenstandsregister eingetragen.
Allein im Kanton Bern gingen seit Anfang Jahr 45 Gesuche für Stiefkindadoptionen ein, 31 davon stammen von gleichgeschlechtlichen Paaren. Zwei der Kinder wurden von einer Leihmutter geboren. In der Stadt Zürich gingen 13 Gesuche ein, wovon acht von Lesben- und zwei von Schwulenpaaren stammen. Auf dem restlichen Kantonsgebiet waren es 22 Gesuche, wobei sich die Behörden hier über die sexuelle Orientierung der Antragssteller ausschweigen.
Auch andere Kantone, etwa St. Gallen, Basel oder Luzern, bearbeiten derzeit zahlreiche Adoptionsanträge von gleichgeschlechtlichen Paaren, wie die zuständigen Stellen auf Anfrage bestätigen.
Auf dem Internetportal des Dachverbands «Regenbogenfamilien» berichten bereits mehrere Familien von erfolgreichen Stiefkindadoptionen. So liessen Tanja und Danielle im April die Champagnerkorken knallen, als sie den positiven Bescheid (und eine Rechnung über 1647 Franken) erhielten. Seither sind die Frauen im Zivilstandsregister als Mütter zweier Kinder eingetragen, die mittels Samenspende im Ausland gezeugt wurden.
Maria von Känel, die Geschäftsführerin des Dachverbands Regenbogenfamilien, hat seit der Gesetzesrevision Anfang Jahr bereits vielen frischgebackenen Familien gratuliert. Die meisten Rückmeldungen seien positiv, auch wenn nicht alle 26 Kantone das Adoptionsverfahren gleich speditiv abwickelten: «Während der Prozess mancherorts in drei Monaten über die Bühne geht, sind in anderen Kantonen sechs bis neun Monate oder mehr nötig. In allen Kantonen braucht es eine Vielzahl an Dokumenten und Unterlagen.»
Von Känel räumt allerdings ein, dass auch die Fälle sehr unterschiedlich gelagert sind. Manche Lesben zeugen Kinder mittels Samenspenden aus dem Ausland, dabei sind die Spender teilweise bekannt, teilweise anonym. In anderen Fällen ist der Spender ein Mann aus dem Bekanntenkreis. Seltener geht es auch um Kinder aus früheren heterosexuellen Beziehungen. «Je nach Ausgangslage stellt sich die Frage, inwiefern der genetische Spender im Adoptionsprozess mitwirken muss.»
Diese Fragen treiben derzeit auch Karin Hochl um. Sie ist als Anwältin im Kanton Zürich auf die Bereiche Leihmutterschaft und Familienplanung gleichgeschlechtlicher Paare spezialisiert. Seit Anfang Jahr hat sie alle Hände voll zu tun mit Anfragen im Bereich der Stiefkindadoption. «Viele unserer Klienten haben lange darauf gewartet, dass sie ihre Kinder rechtlich absichern können, und dass diese mit der Adoption endlich auch zwei Eltern haben», so Hochl.
Denn: Bisher hatten die Kinder in solchen Konstellationen in der Regel nur einen rechtlichen Vertreter – «das ist problematisch». Stirbt ein Elternteil oder trennen sich die Eltern vor der Adoption, hat das Kind gegenüber dem sogenannten Co-Elternteil keinen Anspruch auf Unterhalt oder Erbe. Auch die Fragen des Sorgerechts sind laut Hochl kritisch: Verstirbt der biologische Elternteil, ist nicht gesichert, dass das Kind weiterhin beim anderen Elternteil leben und aufwachsen kann.
Fachpersonen schätzen, dass in der Schweiz bis zu 30’000 Kinder in Regenbogenfamilien aufwachsen. Genaue Zahlen existieren nicht. Auch wie viele Kinder jährlich in die Schweiz kommen, die im Ausland von einer Leihmutter geboren wurden, ist unklar. Experten gehen davon aus, dass sich die Zahl im zwei- bis dreistelligen Bereich bewegen dürfte – Tendenz steigend.
Mit dem Zürcher CVP-Politiker Markus Hungerbühler und dem TV-Journalisten David Karasek sprachen jüngst zwei prominente Schweizer offen darüber, wie sie Väter von Leihmutterbabys wurden. Anwältin Hochl erhält wöchentlich mehrere Anfragen von Paaren, die sich mithilfe einer Samenspende oder einer Leihmutter ihren Kinderwunsch erfüllen wollen oder dies bereits getan haben.
Unter den Paaren, die eine Leihmutterschaft beabsichtigen, seien neben homosexuellen auch sehr viele heterosexuelle Paare, die aus medizinischen Gründen keinen Nachwuchs haben können, betont Hochl. Vom neuen Adoptionsrecht profitieren auch diese Paare teilweise: Konnten Stiefkinder früher nur im Rahmen einer mindestens fünf Jahre dauernden Ehe adoptiert werden, steht die Möglichkeit jetzt auch unverheirateten Paaren offen, sofern sie verschiedene Voraussetzungen erfüllen.
Wie die watson-Recherche zeigt, sind derzeit in mehreren Kantonen auch Gesuche von heterosexuellen Paaren hängig, die das Kind einer Leihmutter adoptieren wollen.
Die Gesetzesänderung sei zwar ein wichtiger Schritt, sagt Hochl. Stiefkindadoptionen seien aber oft mit viel Aufwand und hohen Kosten verbunden. Die angefragten Kantone beziffern die Kosten auf 600 bis 3000 Franken. Problematisch sind aus Sicht der Anwältin auch die lange Verfahrensdauer sowie das Risiko, dass die Adoption nicht bewilligt wird.
Aus ihrer Sicht wäre zum Schutz der Kinder notwendig, dass lesbische Paare von Geburt gemeinsam rechtliche Eltern sein können. Kinder, die im Ausland von einer Leihmutter geboren wurden, müssten direkt anerkannt und im Personenstandsregister eingetragen werden, fordert Hochl. Letzteres hatte das Bundesgericht 2015 in einem Grundsatzentscheid abgelehnt.
Auch für Maria von Känel vom Verband der Regenbogenfamilien taugt die heutige Regelung nur als Zwischenlösung. «Solange keine Kindes-Anerkennung bei Geburt möglich ist und gleichgeschlechtliche Paare in der Schweiz keinen Zugang zu Volladoption und Reproduktionsmedizin haben, besteht eine nicht akzeptable Diskriminierung», findet sie. Die Schwulenorganisation Pink Cross ist bereits letzten November mit einem entsprechenden Forderungskatalog an die Öffentlichkeit gelangt.
Damit tritt ein, was die Gegner der Stiefkindadoption befürchtet hatten. Von einer «Salamitaktik» sprach SVP-Nationalrat Andreas Glarner während der Parlamentsdebatte im Frühjahr 2016. Und CVP-Ständerat Beat Rieder warnte: «Es gibt keine stichhaltigen Argumente dafür, dass bei einer Annahme der vorliegenden Stiefkindadoption nicht auch die gemeinschaftliche Adoption eingeführt werden könnte.»
Dass diese «Büchse der Pandora» geöffnet wird, wollte auch ein Komitee aus JSVP-, SVP- und EDU-Vertretern verhindern. Ihr Referendum scheiterte jedoch im Sammelstadium.