Für intersexuelle Menschen, die keinem Geschlecht eindeutig zugeordnet werden können, sind die kleinen Dinge im Alltag eine Herausforderung. Das fängt im Kindergarten mit dem Gang zur Toilette an. Als kleine Knöpfe müssen sie sich entscheiden: für die Tür mit Kreis und Kreuz oder jene mit Kreis und Pfeil.
Schlimmer wird’s als Erwachsene. Egal, ob bei Hotelbuchungen, beim Online-Shopping oder beim Behördengang – sie müssen zwischen «Herr» und «Frau» wählen. Jetzt soll die Grundlegendste aller Entscheidungen in Deutschland erleichtert werden: Das Bundesverfassungsgericht will für das Geburtenregister ein drittes Geschlecht einführen.
Schon heute gibt es in Deutschland drei Möglichkeiten für Eltern. Sie können ihr Kind entweder als «männlich» oder «weiblich» eintragen lassen. Oder wenn eine eindeutige Zuordnung nicht möglich ist, einfach kein Kreuz beim Geschlecht machen.
So gibt es einige Deutsche, die gemäss Geburtenregister geschlechtslos sind. Sie fallen in die Leerstelle, die der Gesetzgeber 2013 geschaffen hat. Die deutschen Bundesverfassungsrichter wollen jetzt all diesen Menschen die Möglichkeit geben, aus der Geschlechtslosigkeit zu entkommen. Sie (oder viel eher ihre Eltern) sollen ihre geschlechtliche Identität mit einer Bezeichnung wie «inter» eintragen lassen können.
In der Schweiz diskutiert man die Option «inter» nicht. Aber auch den Status der Geschlechtslosigkeit gibt es nicht. Gerade deshalb sieht Daniela Truffer von der Organisation Zwischengeschlecht.org in der Schweiz weniger Handlungsbedarf. Die Präsidentin sagt: «Für die Kinder kann ein solcher Eintrag als drittes Geschlecht Nachteile haben.»
Truffer setzt sich seit Jahren im In- und Ausland für intersexuelle Menschen ein, Zwischengeschlecht.org ist die einzige Organisation , die sich hierzulande ausschliesslich für Intersexuelle einsetzt. «Der Entscheid der Eltern kommt einem unfreiwilligen Outing gleich, mit dem die Betroffenen später vielleicht zu kämpfen haben», sagt sie. Zumal die Betroffenen selbst nicht darüber entscheiden können.
Truffer betont zudem, dass die meisten, die keine eindeutigen Geschlechtsmerkmale aufweisen, sich einem der beiden Geschlechter zugehörig fühlten. «Für sie ist die Einführung des dritten Geschlechts kein Thema.»
Daniela Truffer selbst kam 1965 mit uneindeutigem Geschlecht zur Welt. In ihrem Bauch fanden die Ärzte Hoden. Sie hatte auch einen kleinen Penis – oder laut den Ärzten eine vergrösserte Klitoris. Zudem stellten sie fest, dass sie über einen männlichen Chromosomensatz verfügt. Die Ärzte machten aus dem Kind ein Mädchen – wie es damals die Praxis war. «Diskussionen über die Einführung eines dritten Geschlechts dürfen nicht von den wahren Problemen, den Verstümmelungen, ablenken», sagt sie.
Dennoch würde Truffer eine Änderung der Schweizer Praxis begrüssen und verweist auf den Vorschlag der Nationalen Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin (NEK). 2012 hatte diese im Auftrag des Bundesrates einen Bericht zum Umgang mit Varianten der Geschlechtsentwicklung vorgelegt. Darin empfiehlt sie, dass die beiden bisherigen Geschlechtskategorien im Personenstandsregister beibehalten werden. Intersexuelle sollen dieses aber später unbürokratisch ändern können. Heute ist eine Änderung nur mit grossem Aufwand möglich: Betroffene müssen bei einem Zivilgericht Klage einreichen.