Wird ein Schwuler wegen seiner sexuellen Orientierung bedroht oder angegriffen, taucht der Fall in vielen Ländern in einer speziellen Kategorie der Kriminalstatistik auf. «Hate Crime» lautet der Fachbegriff für solche Delikte. In der Schweiz verzichten die Behörden darauf, diese Taten separat zu erfassen.
Verschiedene Organisationen haben deshalb im November 2016 eine Hotline ins Leben gerufen, bei der Betroffene solche Hassverbrechen melden können. Unter anderem zeichnen der Schwulenverband Pink Cross, die Lesbenorganisation LOS und die Menschenrechtsorganisation Amnesty International verantwortlich für das Projekt. Nun veröffentlichen sie erstmals Zahlen. Demnach wurden im Zeitraum von November 2016 bis Dezember 2017 insgesamt 95 Vorfälle gemeldet, also rund zwei pro Woche.
Am häufigsten gaben Beleidigungen und Beschimpfungen Anlass zu einer Meldung. In jedem dritten Fall kam es zu körperlicher Gewalt. René Schegg von Pink Cross nennt etwa den Fall einer lesbischen Frau. «Sie wollte in der Umkleidekabine bei der Arbeit ihre Schuhe anziehen. Dabei verletzte sie sich an Nägeln, die ihr jemand in die Schuhe gelegt hatte.»
Auffällig: Nur rund jedes fünfte Opfer, das sich bei der Hotline gemeldet hat, ging auch zur Polizei. «Leider zeigen die Rückmeldungen vieler Betroffener, dass das Vertrauen in die Polizei relativ gering ist», so Schegg. Von jenen Personen, die sich bei der Polizei gemeldet haben, fühlte sich eine Mehrheit nicht ernst genommen. «Einzelne Betroffenen gaben sogar an, mit Herablassung oder Spott konfrontiert gewesen zu sein.»
Johanna Bundi Ryser, die Präsidentin des Verbands Schweizerischer Polizeibeamter VSPB, kennt die konkreten Fälle nicht. Sie hält jedoch fest: «Grundsätzlich behandelt die Polizei alle Personengruppen gleich, unabhängig ihrer politischen, ethnischen oder geschlechtsspezifischen Orientierung.» Dass die Polizei für derartige Themen sensibilisiert sei, zeige etwa die Existenz von Pink Cops, einem Verein homosexueller Polizistinnen und Polizisten.
Der Verein arbeitet unter anderem mit der Stadtpolizei Zürich zusammen und gehört ebenfalls zu den Trägern der Hate-Crime-Hotline.
Die Auswertung der Hotline-Meldungen zeige, dass Hate Crime in der Schweiz eine Realität sei, so Schegg. «Zwei Fälle pro Woche lassen sich nicht negieren. Wobei die Dunkelziffer sehr hoch sein dürfte – schliesslich handelt es sich bei der Hotline um ein privates Projekt, das nur eine spezifische Personengruppe erreichte.»
Die Erhebung soll auch ein Weckruf an die Adresse von Politik und Behörden sein. «Der Staat hat den Auftrag, seine Bürger zu schützen.» Es sei deshalb an der Zeit, dass Delikte gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transmenschen (LGBT) künftig auch in der Schweiz separat erfasst werden.
Eine entsprechende Motion von BDP-Fraktionschefin Rosmarie Quadranti ist derzeit im Parlament hängig. Die BDP hatte das Thema bereits vor knapp drei Jahren aufgegriffen. Damals kam der Bundesrat zunächst zum Schluss, es sei sinnvoll, Hate Crime gegen LGBT-Menschen zu erfassen und die Daten zu veröffentlichen. Später machte der Bund jedoch einen Rückzieher.
Als Grund nannte Stephan Gysi vom Bundesamt für Statistik damals gegenüber watson negative Rückmeldungen aus den Kantonen. «Hauptargumente waren ein ungünstiges Aufwand-Ertrag-Verhältnis und die Schwierigkeit, eine genügende Datenqualität sicherzustellen.»
Kritisiert wurde etwa, dass das Motiv eines Täters nicht immer offensichtlich sei. Will heissen: Nur weil ein Schwuler angegriffen wird, muss es sich nicht zwingend um eine homophob motivierte Tat handeln. Die oberste Polizeibeamtin, Johanna Bundi Ryser, will sich nicht an der politischen Debatte beteiligen. «Sollte es tatsächlich der politische Wille sein und dieser auch in einem entsprechenden Gesetz verankert werden, hätte die Polizei keinen Freiraum und müsste den Auftrag entsprechend auch umsetzen.»