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Diese sechs Gründe machten Ecopop zum #Ecoflop

Ecopop-Vize Jürg von Orelli verfolgt am Sonntag das Debakel.
Ecopop-Vize Jürg von Orelli verfolgt am Sonntag das Debakel.Bild: KEYSTONE
Analyse eines Debakels

Diese sechs Gründe machten Ecopop zum #Ecoflop

Die Ecopop-Initiative sorgte im Vorfeld der Abstimmung für das grosse Zittern. Nun wurde sie mit einer Deutlichkeit abgelehnt, die niemand erwartet hat. Das ruft nach Erklärungen.
01.12.2014, 15:4202.12.2014, 10:15
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Mittwoch, wenige Tage vor der Abstimmung: Begegnung mit einem Kenner der Bundespolitik, der regelmässig von den Medien als Experte befragt wird. Wir sind uns einig: Die Ecopop-Initiative ist nicht mehrheitsfähig, aber sie wird einen hohen Ja-Anteil erreichen, rund 45 Prozent.

Sonntag, Tag der Entscheidung: Die Verblüffung ist gross. Die Zustimmung zu Ecopop beträgt knapp 26 Prozent, die Initiative wird nicht nur abgelehnt, sondern regelrecht massakriert. Wohl nie zuvor wurde die Stimmungslage des Stimmvolks dermassen falsch eingeschätzt. Auch die diversen Umfragen lagen, nicht zum ersten Mal, weit neben dem tatsächlichen Ergebnis.

Ein Fazit: Bei Ausländerthemen benimmt sich das Volk immer unberechenbarer. Aber was hat zum Ecoflop geführt? Versuch einer Auslegeordnung:

Blochers Nein

In der Ausländerpolitik hat die SVP die Themenführerschaft. Gibt sie die Richtung vor, kann sie auf eine grosse Gefolgschaft zählen. So am 9. Februar bei der Masseneinwanderungs-Inititative. Zu Ecopop hingegen gab die Partei die Nein-Parole aus. Von den führenden SVP-Exponenten liessen sich im Abstimmungskampf nur die Gegner vernehmen, die Befürworter hielten sich bedeckt.

Die SVP-Delegierten beschliessen im August die Nein-Parole.
Die SVP-Delegierten beschliessen im August die Nein-Parole.Bild: KEYSTONE

Zwar beschlossen mehrere kantonale Sektionen ein Ja. Doch nachdem auch Chefstratege Christoph Blocher «notfallmässig» gegen Ecopop antrat, kippte die Stimmung an der Basis. Das Wort des Obergurus ist für den SVP-Anhang eine Art Evangelium. Es kam zu einer «Demobilisierung des rechten, migrationskritischen Lagers», hielt Claude Longchamp vom Institut gfs.bern in einer ersten Analyse fest. Im Klartext: Viele SVP-Anhänger nahmen an der Abstimmung gar nicht teil.

Kopf vor Bauch

In den letzten Jahren hat der Souverän Abstimmungen wiederholt genutzt, um ein «Zeichen» zu setzen. Beispiele sind das Minarettverbot, die Unverjährbarkeit von pädophilen Straftaten oder die Ausschaffung von kriminellen Ausländern. Auch am 9. Februar spielte dieser demokratiepolitisch nicht unbedenkliche Reflex eine Hauptrolle.

Die Argumente der Gegner waren stärker als der Wunsch, ein Zeichen zu setzen.
Die Argumente der Gegner waren stärker als der Wunsch, ein Zeichen zu setzen.Bild: KEYSTONE

Bei Ecopop spricht einiges dafür, dass das Volk mit dem Kopf und nicht mit dem Bauch entschieden hat. Die Umfragen deuteten noch auf ein erneutes Momentum in Richtung «Zeichen setzen» hin. Am Schluss aber dürfte «eine Rationalisierung gegen die Initiative eingesetzt haben», so der Politologe Lukas Golder. Obwohl das Unbehagen über die starke Zuwanderung nach wie vor vorhanden ist, wurde die Ecopop-Initiative mit ihrer starren Quote als zu extrem erachtet.

Aufgeschreckte Gegner

Von der Demobilisierung des rechten Lagers war bereits die Rede. Umgekehrt haben die Befürworter einer offenen Schweiz aus dem urbanen Milieu deutlich mehr als vor dem 9. Februar unternommen, um die Initiative zu Fall zu bringen. Bis praktisch zur letzten Minute versuchten sie, vorab junge Leute zum Neinsagen zu bewegen, etwa mit der Kondomverteilaktion «Poppen gegen Ecopop» der neu gegründeten Organisation «Operation Libero».

Der Doppeleffekt aus Absenz von rechts und Mobilisierung von links führte dazu, dass Ecopop praktisch nur von jenem Segment der Bevölkerung angenommen wurde, das alles Fremde grundsätzlich ablehnt. Dies zeigt eine Analyse des Tages-Anzeigers. Für die Initianten ist das bitter, haben sie sich doch stets und vehement von jeglicher Fremdenfeindlichkeit distanziert.

Clevere Taktik

Bundesrat und Parlament haben die Ecopop-Initiative im Eiltempo behandelt, um sie noch 2014 zur Abstimmung zu bringen. Bedenken wegen der Gültigkeit wurden vom Tisch gewischt. Der Hintergedanke: Nach dem Ja zur SVP-Initiative dürfte das Stimmvolk genug Dampf abgelassen haben und nicht wenige Monate später einem noch extremeren Volksbegehren zustimmen.

Thomas Minder unterstützte Ecopop im Ständerat, hielt sich im Abstimmungskampf aber zurück.
Thomas Minder unterstützte Ecopop im Ständerat, hielt sich im Abstimmungskampf aber zurück.Bild: KEYSTONE

Diese Taktik ist aufgegangen, auch dank SVP-Nein und «Rationalisierung» der Stimmabsichten. Der Schaffhauser Ständerat Thomas Minder, der in der kleinen Kammer als einziger für Ecopop gestimmt hatte, sah das Unheil kommen. Er trat zwar an der Medienkonferenz des Initiativkomitees auf, glänzte danach aber weitgehend durch Abwesenheit.

Geballte Medienmacht

Kaum je wurde eine Volksinitiative derart massiv bekämpft, war das Missverhältnis zwischen den Mitteln der Initianten und jener ihrer Gegner so krass. Dazu trugen auch die Medien bei. Eine Auswertung der Universität Zürich ergab, dass sie «deutlich ablehnend» über Ecopop berichtet haben. Dabei kam es auch zu Entgleisungen. Den Tiefpunkt lieferte «Magazin»-Kolumnist Daniel Binswanger, als er bei den Ecopop-Sympathisanten «Lifestyle-Faschismus» diagnostizierte.

Entsprechend heftig beklagten sich die Initianten. «Wir waren zu naiv und zu gutmütig im Glauben an Sorgfalt, Unabhängigkeit und Integrität der Medien», sagte Benno Büeler, Präsident des Initiativkomitees, der Schweiz am Sonntag. Die Berichterstattung führte zum gewünschten Ziel, als Ruhmesblatt aber wird sie kaum in die Schweizer Mediengeschichte eingehen.

Social-Media-Ignoranz

Die «klassischen» Medien waren nicht das einzige Gefäss, in dem die Positionen der Gegner stärker zum Zug kamen als jene der Befürworter. Auch in den sozialen Netzwerken zeigte sich ein Missverhältnis. So verfügt die Vereinigung Ecopop zwar über einen Facebook-Account, der auch regelmässig bespielt wird. Aber die Gegner waren weit stärker aktiv. Und auf dem Ecopop-Twitterkonto findet man genau einen Tweet, der vor mehr als zwei Jahren gepostet wurde.

Als kleiner Verein mit wenig Geld hätte Ecopop diese Kanäle viel intensiver bearbeiten müssen. Offenkundig fehlt es hier an Kompetenzen, was wenig erstaunt. Die Exponenten von Ecopop sind mittleren bis höheren Alters, junge Leute sind keine darunter.

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Die genauen Motive für das deutliche Nein wird erst die VOX-Analyse ans Licht bringen. Als Signal für künftige Ausländer- und EU-Abstimmungen aber taugt es kaum. Die Zuwanderungsskepsis hat sich nicht in Luft aufgelöst. Kommen weiterhin viele Leute ins Land, und feuert die SVP das nächste Mal wieder aus vollen Rohren, dann darf erneut gezittert werden.

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