71 Prozent der Schweizer wollen die Vollverschleierung verbieten, wie eine gestern publizierte Umfrage von «Le Matin Dimanche» und der «SonntagsZeitung» zeigt. Wohl auch deshalb wird trotz geringer Betroffenheit das Anliegen politisch gleich auf mehreren Ebenen vorangetrieben: Nach der erfolgreichen Einführung des Verbots im Tessin diskutieren längst auch andere Kantone darüber.
Gleichzeitig hat das Egerkinger Komitee nicht nur eine Initiative lanciert, dessen Präsident Walter Wobmann hat auch einen entsprechenden Vorstoss eingereicht. Der Solothurner SVP-Nationalrat sagt, die breite Zustimmung für das Verhüllungsverbot erfahre er auch beim Unterschriftensammeln: «Auf die Frage nach einer Unterschrift für die Initiative habe ich bis jetzt noch nie ein Nein erhalten. Das ist einmalig.»
Einzelne Politiker würden sich der Debatte am liebsten entziehen, weil sie sie für ein Scheingefecht halten. So sagt die Zürcher CVP-Nationalrätin Kathy Riklin: «Ich würde mich lieber wesentlichen Problemen der Schweiz widmen.» Nur: Sie steht parteiintern auf verlorenem Posten. Die CVP treibt das Thema seit Jahren mit klaren Positionen voran.
So hat der frühere Parteichef Christophe Darbellay vor zehn Jahren den ersten Vorstoss zum Thema eingereicht. Der Bundesrat fand in der Antwort darauf klare Worte, verwies auf Artikel 15 der Bundesverfassung, der jeder Frau und jedem Manne das Recht garantiere, «sich aus religiösen Gründen für oder gegen eine bestimmte Kleidung zu entscheiden». Das Thema war damit nur kurzfristig vom Tisch: Es folgten Vorstösse zum allgemeinen Verhüllungsverbot – alle vergebens. Der Ständerat lehnte die Anträge aus der SVP-Ecke ab.
Unterdessen sind die Befürworter also nicht nur in der SVP, sondern auch in der CVP in der Überzahl. Zu ihnen gehört Vizepräsidentin Ida Glanzmann Hunkeler (LU). Sie sagt stellvertretend: «Mir geht es weniger um das Burkaverbot, sondern darum, dass Personen in der Öffentlichkeit ihr Gesicht zeigen.» Hinter der Burka könne man sich gut verstecken. Nahezu identisch argumentiert Walter Wobmann. Für ihn sei das Verhüllungsverbot ein Gebot der Freiheit.
Nur: Das Argument der Freiheit hat längst auch die Gegenseite für sich gepachtet. Gerade die parteiabtrünnigen SVP-Exponenten, die Zürcher Nationalräte Alfred Heer und Claudio Zanetti, stellen sich gegen das Verbot, weil sich die Schweiz mit solchen Kleidervorschriften nicht besser verhalte als das autoritäre Regime in Saudi-Arabien.
Staatsrat Pierre Maudet exponierte sich als Befürworter. Und sein Waadtländer Pendant Pascal Broulis erklärte gegenüber «Le Temps»: «Wir befinden uns in einem jüdisch-christlichen Land und es gibt Regeln im öffentlichen Raum, die alle respektieren müssen.»
Nach den SP-Regierungsräten Mario Fehr aus Zürich («Burkas gehören nicht hierher») und Pierre-Yves Maillard aus der Waadt («die Gleichstellung der Geschlechter müssen wir verteidigen») scheren also auch Freisinnige aus. Wobei sich die Partei bisher eher zurückhielt. Sie sei gegen Kleidervorschriften, wiederholte die FDP-Chefin Petra Gössi mehrfach. Doch an Schulen oder in öffentlichen Stellen sei eine Burka fehl am Platz.
Derweil schütteln SP-Exponenten den Kopf über Abweichler. Präsident Christian Levrat und Nationalrat Cédric Wermuth (AG) warnen davor, die Argumente der Rechts-Konservativen zu übernehmen. Diese gäben nun vor, die Rechte der Frauen verteidigen zu wollen, nachdem sie jahrelang gegen die Gleichstellung zwischen Mann und Frau gekämpft hätten.