In Luzern geschah am Sonntag Historisches: Zum ersten Mal erhält die Stadt an der Reuss einen linken Stadtpräsidenten, SP-Mann Beat Züsli distanzierte Amtsinhaber Stefan Roth deutlich. An der parteipolitischen Konstellation hat sich derweil nichts verändert – mit je einem Vertreter von SP, Grünen und GLP, flankiert von CVP und FDP, stellt Mitte-Links die Mehrheit im fünfköpfigen Stadtrat.
Luzern befindet sich damit in guter Gesellschaft: Die fünf grössten Schweizer Städte sind allesamt links regiert. Auch in den Top Ten tanzen einzig St.Gallen und Lugano aus der Reihe. Ganz anders sieht es in den kleinen Schweizer Städten aus, dort dominieren die bürgerlichen Parteien in Exekutive und Legislative. Vereinfacht gesagt: Je grösser eine Stadt, desto rot-grüner tickt sie.
Worin gründet diese linke Dominanz in den Schweizer Grossstädten? Eine eindimensionale Antwort gibt es darauf nicht. Nachdem die urbanen Zentren jahrelang gegen Abwanderung gekämpft haben, hält der Zustrom seit der Jahrtausendwende ungebrochen an. Hinzu ziehen Leute, die gezielt das städtische Flair suchen. Also ein reges (alternativ-)kulturelles Angebot, Unabhängigkeit vom Auto, gemeinschaftlichere Wohnformen. «Es gibt immer weniger zufällige, dafür immer mehr bewusste Städter», sagt Daniel Kübler, Direktor am Zentrum für Demokratie Aarau.
Gleichzeitig profitiert klassisch linke Politik auch von den demografischen Gegebenheiten in den Städten. Extensive staatliche Dienstleistungen – etwa bei der Kinderbetreuung, in der Kultur- oder der Bildungspolitik – benötigen eine gewisse Bevölkerungsdichte, damit sie sich überhaupt lohnen. Kein Opernhaus steht auf der grünen Wiese, keine Uni in der Agglo. Dass dies für die Bewohner eine höhere Steuerbelastung zur Folge hat, nehmen sie in Kauf. «Wenn Personen aus der Stadt wegziehen, ist es ausser bei den sehr Reichen praktisch nie wegen der Steuern, sondern vielmehr wegen des Wohnungsmarkts», sagt Kübler.
Schaut man die Zahlen an, zeigt sich: Rund 17 Prozent der Schweizer Bevölkerung leben in den zehn grössten Städten. Nimmt man auch die kleineren Städte und deren Agglomerationen hinzu, verschiebt sich das Bild ungefähr zum Faktor vier zu eins zugunsten der urbanen Regionen.
Das war nicht immer so: Als 1848 der moderne Bundesstaat geschaffen wurde, wohnte rund die Hälfte der Bevölkerung auf dem Land. Zudem verlangten die Nachwehen des Sonderbundskriegs einen ausgeprägten Minderheitenschutz. Die daraus resultierende überproportionale Vertretung der bevölkerungsarmen, ländlichen Kantone im Ständerat existiert bis heute – wobei sich das Ungleichgewicht seither noch akzentuiert hat.
Die grossen Städte fühlen sich deshalb auf nationaler Ebene untervertreten. In Themenfeldern wie Asylpolitik, Sozialwesen oder Verkehr werden viele Entscheidungen in Bern gefällt, betroffen sind aber in erster Linie die Zentren und deren Agglomerationen. «Bundesgelder fliessen überproportional in Randregionen und in die Landwirtschaft, während die Städte einen Teil ihrer ungelösten Probleme selber an die Hand nehmen müssen. Sie sind mehr vom Verkehr belastet und haben am meisten soziale Aufgaben und Integrationsmassnahmen zu bewältigen», sagt die Berner Gemeinderätin Ursula Wyss.
Die Städte haben schon mehrfach versucht, ihren Einfluss auf die Bundespolitik zu erhöhen. Zuletzt wurde 2010 eine parlamentarische Initiative eingereicht, welche den Städten mit mehr als 100'000 Einwohnern je einen zusätzlichen Sitz im Ständerat zugestehen wollte. Das Anliegen schiffte im Nationalrat deutlich ab, im Ständerat hätte es mit Sicherheit die noch grössere Klatsche gegeben – ist es doch kaum vorstellbar, dass das Stöckli seine Macht selbst beschneidet.
Auf institutioneller Ebene ist für die Städte in absehbarer Zukunft also nichts zu holen. Sie versuchen, ihren Einfluss über Vereinigungen wie den Städteverband geltend zu machen – was in dessen Augen meistens auch ganz gut klappt. «Aktuell fordern wir, dass die Anliegen der Städte beim Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrs-Fonds oder der Pflegefinanzierung stärker berücksichtigt werden. In der Regel funktioniert die Zusammenarbeit zwischen den Städten und dem Bund aber gut», sagt Direktorin Renate Amstutz. Eine Aufsplitterung des Städteverbandes, die grösseren Städten mehr Gewicht geben würde, sei nicht nötig.
Das sehen freilich nicht alle so. «Die grossen Städte haben viel zu wenig Einfluss», sagt der Berner Stadtpräsident Alexander Tschäppät. Er fordert, dass sich die zehn grössten Schweizer Städte stärker als heute organisieren und analog des Hauses der Kantone ein «Haus der Städte» gründen. Auch ein neuer Verband nur für die grossen Städte sei wünschenswert, sofern er den Städteverband – er zählt nicht weniger als 130 Mitglieder – nicht konkurrenziere. Ständerätin Anita Fetz (SP, BS) bläst ins gleiche Horn: «Vielen ist nicht bewusst, dass ein Grossteil des Steuerertrags aus den Städten kommt. Es ist höchste Zeit, dass sie gegenüber dem Bund offensiver auftreten.»