Seit Dienstagabend hatten die Mitglieder der sogenannten Ukraine-Kontaktgruppe in einer Villa in der weissrussischen Hauptstadt Minsk verhandelt. Tag und Nacht, nur von kurzen Pausen unterbrochen, rangen die Vertreter der Ukraine, Russlands und der prorussischen Separatisten um jedes Detail, bis sie sich auf eine Waffenruhe für die Ostukraine einigen konnten.
Am Donnerstagmorgen konnten sie dem im Palast der Unabhängigkeit tagenden Vierergipfel der Staats- und Regierungschefs von Russland, Ukraine, Deutschland und Frankreich das Dokument präsentieren. Trotzdem wäre es beinahe noch zum Kollaps gekommen, weil die Separatistenführer Alexander Sachartschenko und Igor Plotnizki ihre Unterschrift verweigerten.
Auftritt Heidi Tagliavini: Die Schweizer Diplomatin, die im Auftrag der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) die Kontaktgruppe leitet, redete den Separatisten ins Gewissen. Und schaffte es laut der Agentur Bloomberg, sie umzustimmen. Kurz nach 12 Uhr Ortszeit konnte der russische Präsident Wladimir Putin die Waffenruhe verkündigen.
Beharrlichkeit und Diskretion gehören zu den Tugenden, die Heidi Tagliavini zugeschrieben werden. Die Baslerin hat es geschafft, das Vertrauen der Russen wie der Ukrainer zu erwerben. Die studierte Philologin spricht acht Sprachen. Russisch beherrscht sie so gut, dass sie auch schwierige Verhandlungen ohne Dolmetscher führen kann. Studiert hat sie die Sprache unter anderem in Moskau.
Seit ihrem Eintritt in den diplomatischen Dienst vor mehr als 30 Jahren war die 65-Jährige vorwiegend in Osteuropa tätig und machte sich dabei einen Namen als Krisendiplomatin. Ihre heikelste Aufgabe war die Leitung der unabhängigen Untersuchungskommission zum Krieg zwischen Georgien und Russland im August 2008. Im Abschlussbericht kam sie zum Schluss, dass Russland den Konflikt zwar systematisch geschürt hatte, der eigentliche Krieg aber von Georgien begonnen wurde. Seither geniesst Tagliavini auch den Respekt von Wladimir Putin.
Mit der Leitung der Ukraine-Kontaktgruppe hat Heidi Tagliavini, deren Markenzeichen farbenfrohe Foulards sind, erneut einen schwierigen Job übernommen. Sie hat ihn auch nach der Übergabe der OSZE-Präsidentschaft von der Schweiz an Serbien im Januar behalten. Sie sei «unverzichtbar», erklärte der serbische Aussenminister Ivica Dacic gegenüber Bloomberg.
Im letzten September hatte Tagliavini bereits das erste Minsker Abkommen über eine Waffenruhe vermittelt. Wirklich eingehalten wurde es nie, und ob es bleibt zweifelhaft, ob die neue Übereinkunft zu einer nachhaltigen Lösung führen wird. «Ich habe keine Illusion, wir haben keine Illusion: Es ist noch sehr, sehr viel Arbeit notwendig», sagte die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel am Donnerstag.
Diese Arbeit dürfte zum grossen Teil an Heidi Tagliavini hängen bleiben. Sie wird in diplomatischen Kreisen für ihre Fähigkeit gerühmt, Gespräche zwischen Konfliktparteien auch dann im Gang zu halten, wenn die Spannungen zunehmen. Dabei hilft ihr eine in ihrem Metier eher rare Eigenschaft: Selbstkritik. «Man weiss ja nicht, ob man 100-prozentig das Richtige tut», sagte sie der «NZZ am Sonntag». Was anderen als Unsicherheit ausgelegt würde, ist in ihrem Fall ein Zeichen von Stärke.