Die Wohnungspreise sind – neben laufend steigenden Krankenkassenprämien – eine der finanziellen Hauptsorgen vieler Schweizerinnen und Schweizer. Als wie drängend das Problem wahrgenommen wird, zeigte sich am Sonntag vor einer Woche in Basel: Mit Ja-Anteilen bis zu 72 Prozent nahm die Bevölkerung vier Mieterschutz-Initiativen an.
Denn trotz seit Jahren tiefen Hypothekarzinsen wird das Wohnen für viele Mieterinnen und Mieter immer teurer. Der Präsident des Schweizerischen Mieterinnen- und Mieterverbands klagt: «Mieter, die eine neue Wohnung suchen, zahlen regelmässig mehr», so der Genfer SP-Nationalrat Carlo Sommaruga. «Wir vom Mieterverband hören das immer wieder: Die neue Wohnung ist nicht billiger, sondern teurer.»
Gemäss Sommaruga täuschen auch von Banken, Internet-Portalen oder Beratungsunternehmen veröffentlichte Studien «ein falsches Bild» vor, wenn sie von sinkenden Mieten sprechen. «Die Preise sinken nur bei Wohnungen, die zur Vermietung angeboten werden.» Die Mietzinse dagegen, die von den Mietern effektiv bezahlt werden, sänken nicht, so Sommaruga. Zudem sänken die Mieten nur für «Luxusobjekte und für Objekte mit hohem Standard, nicht aber die gewöhnlichen Objekte, also die für die Normalbürger bezahlbaren Mietwohnungen».
Sommaruga verweist auf Daten, die er sich vom Bundesamt für Statistik herausfiltern liess. Sie setzen die Leerstandsquote der Wohnungen in Relation zur Bevölkerungszahl in den Kantonen (siehe Grafik): «Diese alarmierenden Zahlen bestätigen unsere Einschätzung», so Sommaruga. «Mehr als die Hälfte der Schweizer leben in Kantonen, in denen Wohnungsmangel oder sogar Wohnungsnot herrscht. Das heisst, dass die Mieten dort immer weiter steigen.»
Von Wohnungsmangel spricht man, wenn weniger als 1.5 Prozent der auf dem Markt angebotenen Wohnungen leer stehen. Wohnungsnot herrscht, wenn die Leerstandsquote unter 1 Prozent fällt.
Nach dieser Definition herrschte 2017 in acht Kantonen Wohnungsnot: Zug, bei- den Basel, Genf, Obwalden, Zürich und Waadt. In diesen Kantonen leben gemäss der Statistik 40.5 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer. Hinzu kommen Luzern, Freiburg und Schwyz, in denen gemäss der Definition Wohnungsmangel herrschte. Dort leben weitere 10 Prozent der Schweizer Bevölkerung.
Der Zürcher SVP-Nationalrat Hans Egloff, Präsident des Schweizerischen Hauseigentümerverbands (HEV) und damit Sommarugas direkter Gegenspieler, hält gar nichts von diesen Zahlen. «Die 1.5 Prozent sind eine willkürliche Grösse. Sie besagt nur, dass auf 100 Wohnungen 1.5 leer sind. Und dass ihre Eigentümer – Kantone, Wohnbaugenossenschaften, Private – keine Einnahmen haben. Viel mehr sagt die Quote nicht aus», sagt er.
Egloff nennt ein Beispiel: «Wenn ich für meine Familie eine Fünfzimmerwohnung brauche, aber nur Ein- bis Vierzimmerwohnungen frei sind, nützt mir auch eine Leerstandsquote von 10 Prozent nichts.» Für den Hauseigentümer-Chef gibt es an den Fakten nichts zu rütteln: «Es ist erwiesen, dass die Mieten sinken. Alle Untersuchungen besagen hier das Gleiche. Aber natürlich zahlt mehr, wer von einer Bruchbude in eine Neubauwohnung umzieht.»
Mieter-Präsident Sommaruga hält dagegen: «Die Hausbesitzer sollen endlich aufhören, das Märchen von den sinkenden Mieten zu erzählen. Der Mietindex des Bundesamts für Statistik steigt seit Jahrzehnten. Billiger werden nur die teuersten Anfangsmieten bei Luxus- und Hochstandardwohnungen. Das heisst, es muss weiterhin mehr günstiger Wohnraum geschaffen werden.» Als Instrument dazu sieht Sommaruga die Volksinitiative «Mehr bezahlbare Wohnungen» des Mieterverbands, die demnächst ins Bundesparlament kommt. Sie will, dass der Bund zusammen mit den Kantonen das «Angebot an preisgünstigen Wohnungen fördert».
Hans Egloff gibt dieser Initiative keine Chance, da sie im falschen Moment komme. Der Mieterpräsident habe sich verzockt: «Carlo Sommaruga hat mit seiner Wohnbau-Initiative ein Problem: Sie kommt im falschen Augenblick, weil die Mieten wie gesagt sinken. Also versucht er jetzt, mit irgendwelchen Statistiken das Gegenteil zu beweisen.»
Sommaruga lässt das nicht auf sich sitzen: «Die Abstimmungen in Basel haben den HEV-Präsidenten nervös gemacht, denn er weiss ganz genau, dass der Unmut in der Bevölkerung über die teuren Mieten steigt. Unsere Initiative kommt im goldrichtigen Moment.»
Klar ist: Die Präsidenten der Verbände schenken sich nichts. Es geht – und zwar für beide Seiten – um viel Geld.