Schweizweit sind rund vier Prozent der Wohnungen in der Hand von Genossenschaften. Viel zu wenige, findet der Mieterinnen- und Mieterverband. Bereits vor einem Jahr hat er eine nationale Volksinitiative für «mehr bezahlbare Wohnungen» eingereicht. Diese verlangt, dass der Anteil gemeinnütziger Wohnungen gesteigert wird – bei Neubauten auf mindestens zehn Prozent.
Noch ambitionierter sind die Ziele der Stadt Zürich: Bis im Jahr 2050 soll dort jede dritte Wohnung gemeinnützig sein. Zum Leidwesen der Kritiker im bürgerlichen Lager – viele von ihnen sind überzeugt, dass die Falschen von dem gemeinnützigen Wohnraum profitieren.
Der Ausländeranteil in den Genossenschafts-Siedlungen sei oft «auffällig tief, der Anteil von Vertretern der rot-grünen Parteien dagegen umso grösser», schrieb etwa ein NZZ-Redaktor vergangenes Jahr in einem vielbeachteten Meinungsartikel.
Seinen Beobachtungen zufolge sind es oft Anwälte, Journalisten oder Professorinnen, die den «bezahlbaren Wohnraum» beanspruchen. Vertreter von Berufsgruppen also, die «in der Regel ganz anständig verdienen» – unter Umständen jedoch lieber Teilzeit arbeiteten.
Wie viel Wahrheit steckt in diesen Behauptungen? Eine Studie des Forschungsinstituts Sotomo im Auftrag des Bundesamts für Wohnungswesen liefert nun Fakten. Das Team des Politgeografen Michael Hermann hat detailliert untersucht, welche Unterschiede zwischen den verschiedenen Wohnformen bestehen.
Das sind die wichtigsten Erkenntnisse:
Eine durchschnittliche Dreizimmerwohnung kostet bei Genossenschaften 1086 Franken pro Monat, auf dem normalen Markt 1265 Franken. Das macht einen Preisunterschied von 16,5 Prozent. In den Kernstädten, wo die konventionellen Wohnungen besonders teuer sind, beträgt die Differenz sogar 26 Prozent.
Generell sind die Preisunterschiede «insbesondere an Lagen mit sehr hohem Preisniveau ausgeprägt», wie die Studienautoren Michael Hermann und Mario Novak festhalten. Dazu kommt: Die Schere öffnet sich. Seit der Jahrtausendwende sind die Preise für gewöhnliche Mietwohnungen schneller angestiegen als jene für Genossenschaftswohnungen.
Gemeinnützige Wohnungen sind bislang primär ein städtisches Phänomen, wie die Auswertung zeigt. Über den meisten gemeinnützigen Wohnraum verfügt die Stadt Zürich – dort ist bereits jede fünfte Wohnung in den Händen von Genossenschaften.
Ernüchternd ist aus Sicht der Genossenschafts-Fans der kantonale Vergleich: Nur gerade Basel-Stadt erreicht heute das vom Mieterverband angepeilte Level von zehn Prozent. Knapp dahinter folgen Zürich und Luzern mit 9,6 respektive 8,7 Prozent. Am anderen Ende der Rangliste befinden sich das Tessin, das Wallis und der Kanton Obwalden: Dort bewegt sich der Anteil der gemeinnützigen Wohnungen im Promillebereich.
Gibt es systematische Unterschiede zwischen der Mieterschaft in den zwei Wohnformen? Auch dieser Frage sind Michael Hermann und sein Team nachgegangen.
Die Auswertung zeigt: In den Genossenschaften leben etwas mehr Minderjährige, Rentner und Alleinerziehende. Dagegen ist der Ausländeranteil mit 25 Prozent tiefer als in Mietwohnungen, wo 32 Prozent der Bewohner einen ausländischen Pass haben.
Dies erstaunt, zumal viele ausländische Familien auf günstigen Wohnraum angewiesen wären – und es gerade in den Städten, wo der Ausländeranteil hoch ist, viel gemeinnützigen Wohnraum gibt. Die Studienautoren stellen denn auch fest, dass in Genossenschaften offensichtlich «höhere Eintrittshürden für ausländische Personen» bestehen.
Die Vermutung des eingangs zitierten NZZ-Redaktors scheint sich in dieser Hinsicht also zu bestätigen. Allerdings relativieren die Studienautoren: So zeige die Aufschlüsselung nach Herkunftsländern, dass vor allem Deutsche und andere Ausländer aus wohlhabenden Ländern selten in Genossenschaften leben. Italiener, Portugiesen, Spanier, Serben und Türken – also Personen aus «relativ ärmeren Herkunftsländern» – sind hingegen stark vertreten.
Auch leben in den Genossenschaften deutlich mehr Eingebürgerte als in konventionellen Mietwohnungen. «Offensichtlich rekrutieren Genossenschaften nicht systematisch eine vermeintlich ‹unproblematische› schweizerische Bewohnerschaft, wie ihnen gelegentlich vorgeworfen wird», heisst es in der Studie.
Klar am wenigsten Ausländer wohnen übrigens in Eigentumswohnungen. Die Autoren haben auch diese Wohnform in ihre Untersuchung einbezogen – in diesem Artikel soll jedoch der Vergleich zwischen Markt- und Genossenschaftswohnungen im Vordergrund stehen.
Die Behauptung, dass die Genossenschaftswohnungen vorwiegend von Studierten in Beschlag genommen werden, lässt sich mit der Studie nicht erhärten. Im Gegenteil: So verfügen nur 23 Prozent der Genossenschafts-Bewohner über eine tertiäre Ausbildung, während es in gewöhnlichen Wohnungen 30 Prozent sind.
Auch leben in Genossenschaften mehr Menschen, die über keinen Bildungsabschluss verfügen oder maximal die obligatorische Schule absolviert haben. Der Anteil von Personen «mit einem tiefen sozialen Status» sei im Vergleich deutlich höher, heisst es in der Studie.
Zutreffend ist die Vermutung des NZZ-Redaktors, wonach die Genossenschafter häufiger Teilzeit arbeiten als Personen in anderen Mietwohnungen. Die Studienautoren finden jedoch keine Hinweise darauf, dass es sich die Bewohner aufgrund der tiefen Wohnkosten gut gehen lassen und ihr Arbeitspotenzial nicht ausschöpfen. Vielmehr sei der Anteil von Frauen mit Kindern, die häufig in einem reduzierten Pensum arbeiten, in den gemeinnützigen Wohnungen höher.
Apropos: Klar am höchsten ist der Anteil an Frauen, die Teilzeit arbeiten oder sich ausschliesslich um die Hausarbeit kümmern, in Eigentumswohnungen. Dort sind lediglich 23 Prozent der Frauen voll erwerbstätig.
Die Klagen sind bekannt: In hippen Quartieren steigen die Mietpreise in den Himmel, sozial schwache Gruppen werden verdrängt. Daher haben die Autoren solchen Standorten mit hohem Aufwertungsdruck besondere Aufmerksamkeit geschenkt.
Tatsächlich hat sich die Bewohnerschaft in Boomregionen, wo die Mietpreise seit der Jahrtausendwende sehr stark gestiegen sind, deutlich verändert: Ihr «Berufsstatus» – eine Messgrösse, die sich ungefähr am Einkommen orientiert – ist im Schnitt deutlich angestiegen. Während der Effekt in den Mietwohnungen sehr deutlich sichtbar wird, zeigt die Kurve im gemeinnützigen Bereich nur schwach nach oben.
Die Autoren kommen deshalb zum Schluss, dass Genossenschaften durchaus als «Gegenmittel zur sozialen Verdrängung» funktionieren. Sie schüfen an zentralen Lagen «potenziell Wohnraum für finanziell schwächer gestellte Personen» und wirkten so der «sozialen Entmischung» entgegen.
Wer in einer Genossenschaftswohnung lebt, beansprucht im Schnitt weniger Wohnfläche (36,5 m2) als ein konventioneller Mieter (42,4 m2). Und dies nicht nur, weil gemeinnütziger Wohnraum oft an urbanen Lagen entsteht, wo die Menschen ohnehin auf engerem Raum zusammenleben. Ob auf dem Land, in der Agglo oder in den Städten: Der Bodenverbrauch von Genossenschaften ist immer tiefer als bei vergleichbaren Miet- oder Eigentumswohnungen.
Insbesondere grosse Wohnungen werden auf dem freien Markt oft nur von wenigen Personen bewohnt, während sie in Genossenschaften intensiver genutzt werden. Offenbar erfüllten die Belegungsvorschriften, die in vielen Genossenschaften gelten, ihren Zweck, folgern die Autoren.