Es ist ein Reizthema. Sollte man in der deutschen Sprache verschiedene Geschlechter besser berücksichtigen? Immer mehr Unternehmen, Hochschulen und Organisationen verwenden neue sprachliche Formen – allen voran den Genderstern. Bürger*innen, heisst es dann. Oder Wähler*innen.
Damit werde niemand ausgeschlossen, finden die einen: Frauen ebenso wenig wie Menschen, die sich weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zugehörig fühlen. Die anderen befürchten, dass damit das Deutsche verhunzt werde. Ihrer Meinung nach sind die Schreibweisen ideologisch motiviert.
Nun hat eine einflussreiche Stelle dazu einen Richtungsentscheid gefällt – freilich ohne die Öffentlichkeit und die Medien aktiv zu informieren: Die Bundesverwaltung lehnt den Genderstern ab, das gleiche gilt für weitere typografische Varianten wie den Gender-Gap («Bürger_innen») oder den Genderdoppelpunkt («Bürger:innen»).
In amtlichen Publikationen und allen weiteren öffentlichen Verlautbarungen wird der Gebrauch explizit untersagt. Und selbst im Text einer Volksinitiative will der Bund das Gendern nicht akzeptieren. Das geht aus einer neuen Weisung der Bundeskanzlei hervor.
Das sechsseitige Dokument regelt den «Umgang mit dem Genderstern und ähnlichen Schreibweisen» bei der Eidgenossenschaft. Es dürfte Signalwirkung haben. Denn: Auf die Weisungen des Bundes stützten sich amtliche Stellen im ganzen Land ab, wenn es um geschlechtergerechte Sprache geht. Gemeinden und Kantone ebenso wie Parlamente und Gerichte.
Zuständig dafür sind die «Zentralen Sprachdienste» in der Bundesverwaltung; eine Art Sprachpolizei der Eidgenossenschaft. Für sie steht fest: Zum einen leisteten Genderstern und Co. nicht, was sie leisten sollten. «Und zum andern verursachen sie eine ganze Reihe von sprachlichen Problemen.» Ausserdem sprächen sprachpolitische und rechtliche Gründe gegen die Verwendung dieser Mittel, heisst es in der Weisung weiter.
Auch in der Verwaltung tauchte der Genderstern zuletzt immer mal in einem Dokument auf. Parlamentarierinnen und Parlamentarier verwendeten ihn in Vorstössen. In Initiativtexten stand er ebenfalls schon drin.
Grundsätzlich anerkennt die Bundeskanzlei das Anliegen, eine Sprache zu verwenden, die möglichst alle Menschen einbezieht und niemanden ausschliesst. Man sei sich bewusst, «dass Menschen, die vom herkömmlichen binären Geschlechtermodell nicht erfasst werden, auch in einer Sprache, die ebenfalls nur zwei Geschlechter kennt, nicht gleich repräsentiert sind wie Frauen und Männer».
Der Genderstern jedoch habe nach wie vor vorwiegend «den Aspekt eines Statements», findet die Bundeskanzlei. Die Schreibweise ist aus ihrer Sicht also ideologisch motiviert. Wörtlich spricht sie vom «Ausdruck einer bestimmten gesellschaftspolitischen Haltung» und bilanziert:
Im Einzelnen führen die Sprachspezialisten einen ganzen Strauss an Gründen gegen den Genderstern an. Angefangen bei der fehlenden Entsprechung in der gesprochenen Sprache und einer Beeinträchtigung der Lesbarkeit. Dann habe der Stern als Schriftzeichen bereits verschiedene andere Funktionen und sei eine zusätzliche Barriere für Leute, die ohnehin Mühe beim Lesen haben. Und schliesslich will der Bund nicht vorpreschen, weil er um «die Einheitlichkeit der Rechtschreibung sowohl innerhalb der Schweiz als auch im deutschen Sprachraum als Ganzem» besorgt ist.
In der Praxis wollen die Sprachpolizisten des Bundes freilich rigoros handeln. So darf der Genderstern gemäss Weisung selbst in verknappten Texten nicht verwendet werden. Wenn eine Ständerätin oder ein Nationalrat ihn in einem Vorstoss benutzt - was immer häufiger vorkommt -, darf die Verwaltung in ihren Dokumenten das Sternchen grundsätzlich nicht wiedergeben.
Gegenderte Volksinitiativen werden «unter Verweis auf die Schreibweisungen des Bundes» nicht akzeptiert. Selbiges gilt für die Komitees von Initiativen und Referenden, wenn sie entsprechende Texte für das Abstimmungsbüchlein abliefern.
Dass der Bund das Thema äusserst ernst nimmt, beweist sein fast 200 Seiten umfassender Leitfaden für den geschlechterkorrekten Sprachgebrauch. Das Dokument, das letztmals 2009 überarbeitet worden ist, galt in diesem Gebiet lange faktisch als Standardwerk.
So gilt in der Verwaltung weiterhin: Texte müssen «geschlechtergerecht» verfasst werden. Die Beamtinnen und Beamte sollen situativ entscheiden. Zur Auswahl stehen ihnen Sprachmittel wie Paarformen («Bürgerinnen und Bürger»), sogenannte geschlechtsabstrakte Formen («versicherte Person»), geschlechtsneutrale Formen («Versicherte») oder Umschreibungen ohne Personenbezug. Nicht erlaubt ist das generische Maskulinum («Bürger»).
Das allerletzte Wort dürfte freilich noch nicht gesprochen sein. Die Bundeskanzlei will ein Auge darauf haben, wie sich das Ganze entwickelt. Aufmerksam verfolge man die «Entwicklungen im Zusammenhang mit einer geschlechtergerechten Sprache», hält sie in schönstem Behördendeutsch fest. (aargauerzeitung.ch)