Sie werden durch das Assad-Regime zwar nicht individuell bedroht, doch eine Rückkehr nach Syrien ist wegen des Bürgerkriegs unzumutbar: In Konstellationen wie dieser dürfen Asylsuchende als vorläufig Aufgenommene in der Schweiz bleiben. Den Flüchtlingsstatus erhalten sie nicht. Der Bund überprüft periodisch, ob die vorläufige Aufnahme noch gerechtfertigt ist. Anlass zur Überprüfung können zum Beispiel eine veränderte geopolitische Lage oder ein Regimewechsel sein.
Aktuell leben rund 45'000 vorläufig Aufgenommene in der Schweiz, etwa zwei Drittel von ihnen stammen aus Afghanistan, Eritrea und Syrien. Sie befinden sich in einem ausländerrechtlichen Schwebezustand. Sobald eine Rückkehr in ihre Heimat zumutbar ist, droht ihnen die Wegweisung. In der Praxis passiert das fast nie. Zwischen 2011 und 2021 schafften die Behörden nämlich bloss 112 vorläufig Aufgenommene aus, wie der Bundesrat in einer Antwort auf einen Vorstoss von Nationalrätin Barbara Steinemann (SVP, ZH) schreibt. Im gleichen Zeitraum erteilte der Bund 65'126 vorläufige Aufnahmen, und etwa 35'000 Personen erhielten eine Aufenthaltsbewilligung.
«Unter dem Strich wird die vorläufige Aufnahme zu grosszügig erteilt», sagt Steinemann. Sie erwähnt Beispiele, in denen die erfolglose Jobsuche in der Heimat oder der nicht Alimente zahlende Ehemann ein Bleiberecht begründet hätten. Zum Teil habe das Bundesverwaltungsgericht die Kriterien für die vorläufige Aufnahme gelockert. Steinmann sagt: «Ich behaupte nicht, dass die Schweiz alle vorläufig Aufgenommenen zurückschicken könnte, in vielen Regionen sind die Umstände schwierig.» Sie fordert aber, der Bund solle vermehrt abklären, ob Personen zum Teil nicht in sichere Regionen eines Landes zurückgeschickt werden könnten.
Steinemann ist Mitglied der Sozialbehörde der Zürcher Gemeinde Regensdorf. Die Gemeinden müssten sehr hohe Kosten tragen für diverse Leistungen wie Kitas, Erziehungshilfe der Belastbarkeitstrainings, in denen beispielsweise Pünktlichkeit oder Sozialkompetenz geübt werde. Die Pauschale von 1500 Franken, die der Bund pro Person im Flüchtlingsbereich monatlich während einiger Jahre ausrichtet, genügt laut Steinemann niemals, um alle Ausgaben zu decken. Viele Personen bekundeten Mühe, sich in die Arbeitswelt zu integrieren. Und selbst wenn es gelinge, reiche der Lohn nicht aus für ein selbstständiges Leben.
Gemäss Zahlen des Bundesamtes für Statistik sind mehr als 80 Prozent der Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommenen auf Sozialhilfe angewiesen. Sieben Jahre nach Ankunft in der Schweiz haben bei beiden Gruppen etwa mehr als die Hälfte in der Arbeitswelt Fuss gefasst.
Mit der Bezeichnung «vorläufige Aufnahme» ist der Bundesrat nicht glücklich. Er schlug vor, einen neuen Status «Schutzgewährung» zu schaffen. Dieser hätte vorläufig Aufgenommene in einigen Bereichen, zum Beispiel beim Familiennachzug oder bei der Ausbildung, rechtlich bessergestellt. Das Parlament lehnte das ab und beschloss stattdessen Verschärfungen, etwa bei Auslandreisen.
Gar nicht zufrieden mit den aktuellen Regeln ist die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH). Sie verlangt die Schaffung eines «humanitären Schutzes» anstelle der vorläufigen Aufnahme. Die Bezeichnung müsse die Schutzgewährung klar und positiv zum Ausdruck bringen, schreibt sie in einem Papier. Ein «vorläufig» dürfe nicht mehr enthalten sein. Dieser Begriff hemme die Arbeitsintegration, sagt SFH-Direktorin Miriam Behrens. Sie fordert eine rechtliche Gleichstellung von vorläufig aufgenommenen Personen mit anerkannten Flüchtlingen.
Dies würde zum Beispiel bedeuten, dass vorläufig Aufgenommene höhere Sozialhilfe bekämen, ein Recht auf Familiennachzug ohne dreijährige Wartefrist, Reisefreiheit, das Recht auf Kantonswechsel und die Hürden für eine Aufenthaltsbewilligung tiefer werden. «Vorläufig aufgenommene Menschen bleiben aufgrund der kriegerischen Konflikte in ihrem Herkunftsland oft mehr als 10 Jahre. Da wäre es für alle Beteiligten besser, wenn sie sich rasch integrieren und selbstständig leben können», sagt Behrens. (cpf)
"Gemäss Zahlen des Bundesamtes für Statistik sind mehr als 80 Prozent der Flüchtlinge und vorläufig Aufgenommenen auf Sozialhilfe angewiesen."
Und das Geld dafür regnet es dann auch?