
Die Geschäftsstelle von Operation Libero: Flavia Kleiner, Carla Allenbach, Lydia Toth und Adrian Mahlstein (nicht im Bild: Silvan Gisler, Leiter Kommunikation).bild: Watson
Seit der Abstimmung
über die Durchsetzungsinitiative ist bei der Operation Libero nichts
mehr, wie es war. Der «Studentenverein» entwickelt sich zu einer professionellen Politiktruppe. Und Vorzeigefrau Flavia Kleiner doziert im
Ausland über den Kampf gegen die Rechtspopulisten.
08.10.2016, 10:0410.10.2016, 17:51
Auf dem Boden
befindet sich ein Bürostuhl, zerlegt in seine Einzelteile. Niemand
hatte bislang Zeit für die Montage, vieles wirkt noch improvisiert. Die neue Geschäftsstelle der Operation Libero an der
Zürcher Langstrasse ist ein Work in Progress. «Wir sind gerade
eingezogen und müssen uns jetzt einrichten», sagt
Geschäftsleiterin und Co-Präsidentin Flavia Kleiner.
Es ist viel
geschehen in den letzten Monaten. Sehr viel.
Vor zwei Jahren wurde
die Operation Libero gegründet, von jungen Leuten, überwiegend
Studenten. Einige waren zuvor Mitglieder beim aussenpolitischen
Thinktank Foraus. Die neue Bewegung entstand als Reaktion auf die
Annahme der Masseneinwanderungsinitiative im Februar 2014. Diesem
Abschottungsverdikt wollte die Bewegung eine positive Message
entgegen stellen, das «Chancenland» Schweiz.

Die Abstimmung über die Durchsetzungsinitiative bewegte die Schweiz.Bild: KEYSTONE
Bis zum Beginn
dieses Jahres war die Operation Libero ein Verein, den ausserhalb der
Politikszene kaum jemand zur Kenntnis nahm. Dann folgte der
Knackpunkt, der alles ändern sollte: Die Abstimmung über die
SVP-Durchsetzungsinitiative am 28. Februar. Die Perspektiven waren
düster, erste Umfragen verhiessen ein klares Ja. Aus der Politik
waren defätistische Töne zu vernehmen, mit Ausnahme einiger «Unerschrockener» wie dem Ausserrhoder FDP-Ständerat Andrea
Caroni.
Nie mehr im Normalzustand
Bei der Operation
Libero wollte man sich damit nicht abfinden: Kein weiterer Sieg
für die SVP! Also ging man zum Angriff über. Eine Reportage im «Magazin» hat die Strategie eindrücklich beschrieben. Die
Offensive der Jungen weckte viele aus ihrer Lethargie und führte zu
jenem Phänomen, das als «Aufstand der Zivilgesellschaft» glorifiziert wurde. Am Ende stand ein glänzender und in mancher
Hinsicht historischer Erfolg: 59 Prozent sagten Nein zur DSI.
Die denkwürdige
Abstimmung machte Operation Libero zum Hoffnungsträger einer Politik, die sich gegen Abschottung und
Ausgrenzung auflehnt. Co-Präsidentin und Kampagnenleiterin Flavia
Kleiner wurde quasi über Nacht zum Promi. Sie erhielt Labels wie «SVP-Schreck» und «Postergirl» angeheftet und trat in der «Arena» oder bei Schawinski auf, der in Gegenwart der attraktiven
Zürcherin vom bissigen Tiger zum zahmen Kater mutierte.
«Wir haben viele coole, junge, brillante Leute, die etwas anpacken wollen.»
Flavia Kleiner
«Seit der
DSI waren wir nie mehr im Normalzustand», sagt Kleiner
lachend. Bis Anfang Jahr waren die Liberas und Liberos ehrenamtlich
tätig, nun wird eine Professionalisierungsstrategie umgesetzt, die bereits im Sommer 2015 erarbeitet worden war. Im Mai bezog die
Organisation eine erste Geschäftsstelle in den Räumlichkeiten der Stiftung ffgs. Nun verfügt man an der Langstrasse über ein eigenes
Büro, auch den «Hauptsitz» im Progr in Bern will man behalten.

Die Geschäftsstelle an der Zürcher Langstrasse wurde gerade erst bezogen.Bild: watson
Ausserdem leistet
man sich eine Geschäftstelle mit fünf in Teilzeit arbeitenden
Mitgliedern. Demnächst wird eine
sechste Person angestellt, als Community Manager. Sie wird dringend
benötigt, denn die «Gemeinschaft» von Operation Libero ist stark
gewachsen. Die Mitgliederzahl stieg von 118 zu Jahresbeginn auf 324
Ende Februar. Jetzt sind es bereits rund 840. Hinzu kommen mehr als
2000 Personen, die sich aktiv engagieren wollen.
Viele Kleinspenden
Finanziert wird all
dies durch Spenden. Dank der DSI-Publizität erhielt man viel
Kleinspenden. Die Bewegung will künftig darüber auf ihrer Website
Transparenz herstellen und etwa die juristischen Personen gesondert
deklarieren.
Auch regional expandiert die Operation Libero. Nach Bern
und Zürich wurde diese Woche in Basel eine dritte Sektion gegründet.
Und die Expansion soll sich fortsetzen. Im Visier hat man nicht
zuletzt die Westschweiz. Erste Kontakte wurden geknüpft. «Wir
haben viele coole, junge, brillante Leute, die etwas anpacken
wollen», schwärmt Flavia Kleiner.
Die Operation Libero
ist ein Angebot, auf das viele – nicht nur junge – Leute gewartet haben. Der Politgeograf Michael Hermann
beschreibt es in seinem neuen Buch «Was die Schweiz zusammenhält» vielleicht am besten: «Erst die unerschrockenen jungen Menschen um
Flavia Kleiner von ‹Operation Libero› haben wieder aufgezeigt,
welche Kraft eine progressive Narration von Mut, Offenheit, Fairness
und Leistungswillen auch heute noch entwickeln kann.»
«Wir haben den Leuten vermittelt, dass wir nicht in die Falle der SVP tappen, sondern sie auf unser Spielfeld holen.»
Flavia Kleiner
Das erzeugt Neid und
Kritik, von rechts wie links. Auf Twitter wurde die Operation Libero
als «Tarnkappenbomber der SP» angefeindet. Umgekehrt lästerte
SP-Nationalrat Cédric Wermuth, die Liberos hätten mit ihrem Nein
zur «AHVplus»-Initiative «ihr neoliberales Gesicht» gezeigt.
Die Bewegung, die sich als liberal definiert, nimmt es gelassen. «Ich
werde fast jede Woche in der ‹Personenkontrolle› der ‹Weltwoche› erwähnt. Das empfinde ich als Kompliment», schmunzelt Flavia
Kleiner.

Die SVP besiegt: Jubel bei Operation Libero am Abstimmungssonntag.Bild: KEYSTONE
Ernsthafter ist die
Frage, wie gross der Anteil der Operation Libero am DSI-Erfolg
wirklich ist und ob der Hype gerechtfertigt ist.
Tatsächlich engagierten sich zahlreiche Akteure aus der «Zivilgesellschaft», etwa der «Dringende Aufruf». Die
Vox-Analyse kam zum Ergebnis, dass die Ablehnung der
Initiative nicht einer Mobilisierung von politikfernen Jungen zu
verdanken war, sondern einem Stimmungswandel bei der CVP- und
FDP-Wählerschaft.
Die SVP ausgespielt
Manche Medien
reagierten auf die «konventionelle» Erklärung fast schon
erleichtert. Bei der Operation Libero erkennt man keinen Widerspruch: «Unser Zielpublikum waren die Anhänger von FDP und CVP», sagt
Geschäftsleitungsmitglied Adrian Mahlstein. Ohnehin überzeugt die
Vox-Analyse nur bedingt, sie liefert keine Erklärung für die
ungewöhnlich starke Mobilisierung (die Stimmbeteiligung war mit 63
Prozent so hoch wie nie seit der EWR-Abstimmung 1992).
Eine Erklärung
liefert Flavia Kleiner: «Wir haben den Leuten vermittelt, dass wir
nicht in die Falle der SVP tappen, sondern sie auf unser Spielfeld
holen.» Diese Taktik funktionierte perfekt. Den Gegnern der
Durchsetzungsinitiative sei es gelungen, «aus einem Ausländerthema
eine institutionelle Debatte zu machen», erklärte Michael Hermann gegenüber watson. Die Sorge um den Rechtsstaat verdrängte
die Abneigung gegen «kriminelle» Ausländer.
«An unserem besten Tag erreichten wir auf Facebook eine halbe Million Leute.»
Adrian Mahlstein
«Viele haben
deshalb anders gestimmt als bei der Ausschaffungsinitiative 2010»,
erläutert Flavia Kleiner. Selbst die SVP musste am Ende zugeben,
dass sie gegen die Strategie ihrer Gegner machtlos war.
«Irgendwann ging es nicht mehr um Ausschaffung krimineller Ausländer, sondern nur noch um Rechtsstaatlichkeit», klagte der
designierte Parteipräsident Albert Rösti am Abstimmungssonntag im
watson-Interview. Ein Satz, den sich Kleiner regelrecht auf der Zunge zergehen lässt.
Einer der meistgeteilten Facebook-Beiträge zur DSI.
Wie gross aber war
der Anteil von Operation Libero wirklich? Einen Anhaltspunkt liefern
die sozialen Medien. «An unserem besten Tag erreichten wir auf
Facebook eine halbe Million Leute», sagt Adrian Mahlstein, der die
Online-Aktivitäten betreut. Einen ähnlichen Reach habe man mit
einigen Beiträgen erzielt. Auch in Zukunft wird die Bewegung stark
auf die Online-Kanäle setzen. «Mit unseren Postings zur
Vertragsbruchinitiative hatten wir auch einen guten Reach»,
sagt Mahlstein.
«Krieg» in den sozialen Medien
Eine Spezialität sind die «Online-Warriors», ein Trupp
Freiwilliger, der sich in den sozialen Medien ins Getümmel stürzt
und die rechten Trolle bekämpft. Dazu werden sie von der Operation Libero mit Memes,
Fakten und Argumenten munitioniert.
Das Ganze hat durchaus eine
kriegerische Dimension. Die Gangart ist rau, wer als Online-Warrior aktiv ist, darf nicht
zart besaitet sein. Die Gruppe sei aber «extrem gut
zusammengewachsen», freut sich Mahlstein. Teilweise treffen sich
die «Krieger» sogar in der Freizeit – in der realen Welt, nicht in der virtuellen.
Die
Libero-Aktivitäten und der DSI-Erfolg sind nicht unbemerkt
geblieben. Seit der Abstimmung ist Flavia Kleiner in
Europa unterwegs, um zu dozieren, wie man die Rechtspopulisten
besiegen kann. Aus Österreich erhielt sie Einladungen von den Grünen
und der liberalen Neos, aus Deutschland von der FDP. Zweimal reiste
sie nach Holland, zum Kongress der Grünen und ans Forum «Re:Creating
Europe» in Amsterdam. «Jude Law war auch dort», sagt Kleiner
lachend.
«Ich bin mega besorgt über das, was in Europa geschieht.»
Flavia Kleiner
«In diesen Ländern
gibt es üble Rechtspopulisten, man spürt eine grosse Angst vor
ihrem Aufstieg», meint die Libero-Chefin. Ihr Ziel sei es, den
Menschen Mut zu machen. «Bei uns gibt es die SVP seit 25 Jahren,
und sie wird immer schlimmer.» Trotzdem könne man den Bann
brechen, man müsse nur daran glauben. «Wir zeigen, was
funktioniert, aber wir fordern die Leute auch auf: Macht jetzt!» Schöne Reden genügen Kleiner nicht, sie will etwas bewegen.
Ihren Antrieb
erklärt die 25-Jährige mit der Geschichte, genauer mit den 1930er
Jahren, als Europa offenen Auges in die Katastrophe marschierte. «Ich
bin mega besorgt über das, was in Europa geschieht.» Sogar eine
Rückkehr zum Faschismus hält Flavia Kleiner für möglich. Man kann das belächeln oder als übertrieben abtun, aber die
Geschichtsstudentin will sich niemals vorwerfen lassen, sie sei untätig
geblieben: «Ich tue alles, was in meiner Macht steht, um dagegen zu
halten.»
Wie aber geht es mit der Operation Libero im Inland weiter? Auch in dieser Hinsicht ist die
Bewegung ein Work in Progress. Im Herbst will sie eine
Standortbestimmung vornehmen und ihre Strategie definieren. Mit der
Nein-Parole zu «AHVplus» hat sie sich auf ein neues
Terrain vorgewagt, die Wirtschafts- und Sozialpolitik. Ausserdem
stehen weitere Abstimmungen an. Beim revidierten Asylgesetz hat sich
die Operation Libero erfolgreich für das Ja stark gemacht.
«Wenn wir alles richtig machen, wird es nie ruhiger werden.»
Flavia Kleiner
Präsenz in den
sozialen Medien markiert sie schon heute gegen die Fremde
Richter-Initiative der SVP (im Libero-Jargon
Vertragsbruch-Initiative) und das Burkaverbot, obwohl über beide
Themen frühestens in zwei bis drei Jahren abgestimmt wird. Der
nächste Showdown mit der SVP dürfte bei der erleichterten
Einbürgerung von Ausländern der dritten Generation anstehen. Das
Parlament hat sie im September verabschiedet, die Abstimmung wird im
Februar oder Mai 2017 stattfinden.
Weiter stellt sich
die Frage, ob die Operation Libero eine Bewegung bleiben oder sich
entwickeln will, vielleicht gar zu einer Partei. Flavia Kleiner hält
wenig von solchen Ideen. Als Bewegung könne man offen bleiben für
Menschen unterschiedlichster Ausrichtung: «Mir ist es scheissegal,
welche Parteifarbe jemand hat.» Ein wichtiger Faktor ist die
Glaubwürdigkeit, die Operation Libero geniesst. Kleiner hat selber
schon gehört, sie sei glaubwürdiger als alle Politiker.
Wer nach der DSI
davon ausging, dass Operation Libero eine Eintagsfliege ist, muss
umdenken. Flavia Kleiner jedenfalls schüttelt den Kopf, wenn man
ihr sagt, sie könne es nun etwas ruhiger nehmen: «Wenn wir alles
richtig machen, wird es nie ruhiger werden.»
Internationale Presseschau DSI
1 / 12
Internationale Presseschau DSI
[pbl, 16.02.2016] Durchsetzungs-Initiative