Schweiz
Gesellschaft & Politik

Dittli-Schwestern mischen die Schweizer Politik auf

Die neu gewaehlte Zuger Regierungsratsandidatin Laura Dittli, rechts, von der Mitte-Partei und Ihre Schwester, der Regierungsraetin von Waadt, Val
Die Schwestern Valérie und Laura Dittli sind sich ähnlich – in ihrer Art, ihrem Aussehen und ihren Ambitionen. Aber sie unterscheiden sich auch.Bild: keystone

Das sind die Dittli-Schwestern, die gerade die Schweizer Politik aufmischen

Die Dittli-Schwestern sind die jüngste Polit-Sensation der Schweiz. Gegenüber watson erzählen sie, was ihnen schwerfällt, was sie vom Feminismus halten und weshalb sie nicht bei den Grünen politisieren.
07.10.2022, 09:1107.10.2022, 09:16
Elena lynch
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Sie sind das spannendste Duo der Schweizer Politik: die Schwestern Valérie und Laura Dittli. Sie sind jung, haben Jus studiert, sind in der Mitte-Partei und sitzen seit Kurzem in einer Kantonsregierung.

Valérie, 30, wurde im Frühling zur Staatsrätin im Kanton Waadt gewählt – ohne je ein politisches Mandat ausgeübt zu haben. Seit 100 Tagen sitzt sie dem Finanz- und Landwirtschaftsdepartement vor.

Laura, 31, ist, seit sie 22 ist, Kantonsrätin im Kanton Zug. Am Sonntag wurde sie zur Staatsrätin gewählt. Ab Januar wird sie das Sicherheitsdepartement führen.

Mit ihren runden Gesichtern und dunkelblonden Haaren kommen die Schwestern wie das doppelte Lottchen daher. Die «Schweizer Illustrierte» nannte sie «Die doppelten Dittlis».

Die neu gewaehlte Zuger Regierungsratsandidatin Laura Dittli, links, von der Mitte-Partei und Ihre Schwester, der Regierungsraetin von Waadt, Val
Laura und Valérie Dittli treten oft als Duo auf. Bild: keystone

Aber nicht nur ihr Aussehen, sondern auch ihre Art ist ähnlich. Die Beschreibungen, die sich in den Medien finden, betreffen immer beide. Sie gelten als extrovertiert und ehrgeizig. Sie packen an.

Das «Anpacken» haben sie auf dem Hof gelernt, auf dem sie in Oberägeri im Kanton Zug aufgewachsen sind. So das Narrativ.

In der Kindheit waren sie unzertrennlich: Ihre Iglus standen stets nah nebeneinander, während das ihres Bruders Dario etwas abseits stand.

Ihre Wege trennten sich, als sie ans Gynmasium gingen. Laura ging nach Zug. Valérie nach Menzingen.

Danach glichen sich ihre Wege wieder an. Sie studierten Jus in Luzern und machten ihren Master in der Romandie. Laura in Neuchâtel. Valérie in Lausanne. Beide wurden Politikerinnen. Beide präsidieren die Mitte-Partei in ihrem Kanton.

Ihre Biografien scheinen identisch. Doch es gibt Unterschiede – welche, wissen sie als Schwestern selbst am besten. Mit watson haben sie am Telefon übereinander gesprochen. Valérie über Laura und Laura über Valérie.

Das sagen sie über:

Ihre Politisierung

Valérie über Laura:

«Für uns Kinder war das Leben auf dem Hof herrlich, für unsere Eltern war das nicht immer der Fall. Zu sehen, wie viel Arbeit unser Vater in einen Liter Milch investierte und wie wenig Geld er wegen des tiefen Milchpreises dafür erhielt, hat uns politisch geprägt. Wir entwickelten ein grosses Gerechtigkeitsgefühl – und lassen uns davon in unserer rechtlichen und politischen Arbeit leiten.»

Laura über Valérie:

«Es gab immer wieder Erfahrungen in ihrem Leben, die sie politisiert haben: Das Aufwachsen auf einem Hof. Das Ankommen in der Romandie. Sie will, dass es den Bäuerinnen und Bauern besser geht und dass sich die Deutsch- und die Westschweiz besser verstehen. Valérie findet, die Sprache ist die Vermittlung unserer Kultur, und die muss man einfach kennen vom anderen. Englisch geht gar nicht.»
Die neu gewaehlte Zuger Regierungsraetin Laura Dittli von der Mitte-Partei anlaesslich der Zuger Gesammterneuerungswahlen vom Sonntag, 2. Oktober 2022 in Zug. (KEYSTONE/Urs Flueeler).
Wollte als Kind Floristin werden: Laura Dittli nach ihrer Wahl zur Zuger Regierungsrätin.Bild: keystone

Ihren Werdegang

Valérie über Laura:

«Laura hat sich dort engagiert, wo sie herkam. Sie war im Ägerital in vielen Vereinen. Zuerst war sie in der Jugendmusik, dann in der Harmoniemusik und in der Guggenmusik war sie auch. Als sie ein Jahr in Neuchâtel war, fürs Studium, hat sie die Musikprobe am Mittwoch-abend vermisst. Durch ihre Engagements war sie im Ort, im Kanton sehr verwurzelt. Mit 22 wurde sie Kantonsrätin. Das hat ihre Verhaftung in Zug zusätzlich verstärkt.»

Laura über Valérie:

«Valérie hat sich dort engagiert, wo sie war. Sie war vor allem in Bildungsinstitutionen und ausserhalb von Ägeri aktiv: In der Sek leitet sie den Pausenkiosk, im Gymi war sie Schülerratspräsidentin, an der Uni im Studierendenrat. In Lausanne bekam sie nach dem Master eine Assistenzstelle und doktorierte. Dort blieb sie dann hängen. Ich dachte immer, sie kommt zurück: nach dem Master, nach dem Doktor. Als sie im April zur Staatsrätin gewählt wurde, sagte ich zu ihr: ‹Jetzt kommst du nicht mehr retour.›»

Ihre Persönlichkeit

Valérie über Laura:

«Laura kann sich besser distanzieren als ich. Heisst: Sie kann damit leben, es nicht allen recht machen zu können. Vielleicht hat sie das in der Politik gelernt. Schliesslich ist sie schon länger dabei als ich. Als Politikerin muss man immer wieder Entscheidungen treffen, mit denen nicht
alle einverstanden sind. Leider. Mir fällt das manchmal schwer.»

Laura über Valérie:

«Nach unserem Jus-Studium gab es für uns zwei Möglichkeiten: Richterin oder Anwältin. Ich dachte immer, Valérie würde Richterin werden und in dieser Rolle dafür sorgen, dass es für alle eine gute Lösung gibt. Das hätte ihrem grossen Gerechtigkeitsgefühl entsprochen. Den Anspruch habe ich zwar auch, aber als Anwältin bin ich es gewohnt, mich auf eine Seite stellen zu müssen. Das hilft mir in der Politik, wo man immer Gegnerinnen und Gegner hat.»
La conseillere d?Etat vaudoise Valerie Dittli parle lors de la presentation devant la presse du projet de budget du canton de Vaud pour 2023 ce jeudi 22 septembre 2022 a Lausanne. (KEYSTONE/Laurent Gi ...
Valérie Dittli macht es gerne allen recht.Bild: keystone

Ihre Partei

Valérie über Laura:

«Lauras Vespa und Fingernägel sind orange. Und sie hat während dem Studium bei der Migros gearbeitet – so sehr mag sie die Farbe orange. (lacht) Zur Mitte ist sie aber aus anderen Gründen gekommen. Die Partei politisiert lösungsorientiert und stellt sich nicht stur hinter einen Standpunkt, sondern schaut sich die Sache an. Dieser Ansatz wird manchmal auch ins Negative ausgelegt: ‹On tourne avec le vent.› Ich finde aber: Man kommt nicht voran, wenn man sich hinter einer Ideologie versteckt. Laura sieht das auch so.»

Laura über Valérie:

«Valérie ist zur Mitte, weil die Partei lösungsorientiert agiert und versucht, eine Brücke zwischen extremeren Meinungen zu bauen. Das entspricht ihr. Warum sie nicht zu den Grünen ist, wenn ihr Landwirtschaft so wichtig ist? (lacht) Die Landwirtschaftspolitik der Grünen ist vor allem eine Umwelt- und Klimapolitik. Aber Valérie hat auch andere Anliegen: Bauernfamilien sollen und dürfen auch von ihrer Arbeit leben können, zum Beispiel.»

Ihren Feminismus

Valérie über Laura:

«Laura sagte gegenüber dem ‹Tagesanzeiger›, dass sie sich nicht als ‹Feministin› bezeichne, weil das Wort für sie zu negativ konnotiert sei. Dabei setzt sie sich stark für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Dafür arbeitet sie aber lieber konkret, statt sich skandierend auf einen Platz zu stellen. Wenn es um Feminismus geht, erinnere ich gerne an eine der ersten Juristinnen der Schweiz: Emilie Kempin-Spyri. Ohne sie hätten Laura und ich nicht Jus studieren können. Darum finde ich: Auch wir müssen uns für unsereins einsetzen. Und das machen wir auch.»

Laura über Valérie:

«Ich würde weder Valérie noch mich als Feministin bezeichnen. Ich finde ‹Feminismus› ein eher negativ konnotiertes Wort. Valérie will ein Vorbild sein für Frauen, die sich in der Politik engagieren wollen. Und sie setzt sich für Frauen ein, indem sie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf voranbringen will. Das als rein feministisches Anliegen anzusehen, finde ich falsch, weil es die ganze Gesellschaft betrifft.»

Ihre Opfer

Valérie über Laura:

«So ein Amt bring viele Veränderungen mit sich: Man ist mit anderen Menschen zusammen, hält sich an anderen Orten auf und beschäftigt sich mit anderen Themen. Das ist aufregend. Aber Laura wird mit 31 auch ihren Job als Anwältin aufgeben müssen, für den sie so viel getan hat. Die Anwaltsprüfung war ein echter Aufwand. Und vielleicht wird sie auch in einigen Vereinen kürzen treten müssen.»

Laura über Valérie:

«Als ich mit 22 in den Kantonsrat gewählt wurde, sagte ein älterer Mann zu mir, dass ich ihm leid tue, weil ich meine Unabhängigkeit verlieren werde. In der Tat hatte ich bereits in jungen Jahren viel Verantwortung. Ich habe Vorstösse verfasst statt Netflix geschaut. Aber ich war dankbar für dieses Vertrauen – und bin es heute noch. Valérie war während ihrer Tätigkeit in der Anwaltskanzlei und ihres Doktorats an der Uni von vielen jungen Menschen umgeben. Jetzt bewegt sie sich in Strukturen, wo viele Personen 20 Jahren älter sind als sie. Diese Veränderung spürt sie. Sie meinte mal zu mir, dass sie immer mehr mit ‹Erwachsene› abhänge. (lacht)»
Valerie Dittli, future conseillere d'Etat vaudoise (gauche), est photographiee aux cotes de Vassilis Venizelos, Frederic Borloz, Isabelle Moret, Nuria Gorrite, Rebecca Ruiz et Christelle Luisier  ...
Valérie Dittli ist mit Abstand die Jüngste in der Waadtländer Regierung.Bild: keystone

Ihre Ratschläge

Valérie über Laura:

«Etwas, was ich in meinen ersten 100 Tagen im Amt gemerkt habe: Man muss sich Zeit für sich selbst nehmen und für seine Familie und Freundinnen. Sonst kann es schnell zu viel werden. Aber das weiss Laura auch. Sie hatte immer ein sehr ausgefülltes Leben: Studium, Job, Verein, Politik. Sie ist es gewohnt, viele Aufgaben gleichzeitig zu haben.»

Laura über Valérie:

«Valérie kann gut mit Menschen umgehen. Das wird ihr als Staatsrätin sicher helfen. Schliesslich hat sie einen Stab von 1'500 Mitarbeitenden unter sich. Was auch hilfreich ist, und was ich in den letzten acht Jahren als Kantonsrätin lernen durfte, ist, dass man einen guten Austausch über Parteigrenzen hinweg pflegt. Und wenn es Widerstand gibt, rate ich ihr, die Gegnerinnen und Gegner ins Boot zu holen, damit sie mitreden können. Unzufriedenheit ergibt sich meistens dann, wenn man nicht miteinander redet.»
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95 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Grobianismus
07.10.2022 09:37registriert Februar 2022
Inzwischen sehen die Menschen das Wort "Feminismus" als etwas negatives, wobei dies eigentlich einfach Gleichberechtigung heisst. Schade, da ich mich als Feminist bezeichne, aber Frauen nicht mehr Rechte als Männer geben möchte, nur die gleichen...
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regen
07.10.2022 10:35registriert November 2014
und was mischen die beiden jetzt genau auf.....🤔?
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Atavar
07.10.2022 10:56registriert März 2020
Genau das was wir brauchen: Politiker, die den Politsumpf bereits in jüngsten Jahren kennen lernen. Das hilft enorm dabei, die Sorgen und Nöte der Bevölkerung zu verstehen.

Und endlich wieder mal Juristen in der Politik. Soooo selten.
Eine tolle Story, die einem Mut macht.

Zynismus aus...
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