Schweiz
Gesellschaft & Politik

Doris Leuthard setzt zwei Bundesratskollegen unter Zugzwang

Die Bundespraesidentin Doris Leuthard bei ihrer Rede anlaesslich der 1. August feierlichkeiten der CVP Luzern vom Montag, 31. Juli 2017 vor dem KKL in Luzern. (KEYSTONE/Urs Flueeler)
Bald eine «lame duck»? Doris Leuthard hat ihren Rücktritt auf Ende 2019 angekündigt. Bild: KEYSTONE

«Wer tritt mit mir zurück?» – Doris Leuthard setzt zwei Bundesratskollegen unter Zugzwang

Die Ankündigung von Bundespräsidentin Doris Leuthard, bis Ende 2019 aufzuhören, ist auch ein Wink an ihre Kollegen im AHV-Alter, Johann Schneider-Ammann und Ueli Maurer.
02.08.2017, 04:5902.08.2017, 06:33
Henry Habegger / Nordwestschweiz
Mehr «Schweiz»

Es klingt, als ginge sie nächstens schon. Bundespräsidentin Doris Leuthard (CVP) sprach am Montagabend im Schweizer Fernsehen bereits in der Vergangenheitsform. «Ich habe das Gefühl, ich habe doch einiges gemacht für das Land. Aber mit grosser Freude und Dankbarkeit, dass ich das Privileg haben durfte, in dem Bundesrat zu wirken», erklärte die 54-Jährige.

Jetzt auf

Spätestens Ende dieser Legislatur, also Ende 2019, trete sie zurück, folgerte Doris Leuthard, lächelnd und gelöst. Die Aargauerin, derzeit unbestritten die starke Person im Bundesrat, bittet damit wie beiläufig auch zwei Herren zum Tanz. In den Fokus kommen zwei Magistraten im AHV-Alter, deren Rücktritt ebenfalls absehbar ist. Johann Schneider-Ammann (65, FDP), seit sieben Jahren im Amt. Und Ueli Maurer (66, SVP), seit gut acht Jahren Bundesrat. Für Politstrategen ist klar: Leuthard forderte die beiden mit ihrer Ankündigung indirekt auf, über einen gemeinsamen Rücktritt nachzudenken. «Das war ein Gesprächsangebot», sagt ein führender Parteiexponent.

«Maurer wird sich gewisse Überlegungen machen»

Ähnlich interpretiert das auch der Aargauer SVP-Nationalrat Ueli Giezendanner, der kürzlich als Ergänzung zum Tessiner Ignazio Cassis in der «Nordwestschweiz» FDP-Präsidentin Petra Gössi ins Gespräch als Bundesrätin gebracht hat. Er sagt: «Eine Mehrfachvakanz wäre wünschenswert. Ueli Maurer wird sich vom Alter her auch gewisse Überlegungen machen.» Giezendanner, derzeit im Cassis-Land in den Ferien, sagt: «Die Messer werden in der SVP schon gewetzt, die Drähte laufen heiss bis hinunter ins Tessin.» Will heissen, auch bei der SVP bringen sich bereits mögliche Maurer-Nachfolger in Stellung. Oder Nachfolgerinnen. Als aussichtsreichste Kandidatin gilt Magdalena Martullo-Blocher, die Tochter des Partei-Oberhaupts und Alt-Bundesrats.

«Die Messer werden in der SVP schon gewetzt, die Drähte laufen heiss bis ins Tessin.»
Ueli Giezendanner, SVP-Nationalrat
Bundesrat Ueli Maurer spricht waehrend einem 1. August-Brunch auf dem Bauernhof von Rudolf Bigler, am Dienstag, 1. August 2017 in Moosseedorf. (KEYSTONE/Peter Klaunzer)
Tritt auch Bundesrat Maurer bald zurück?Bild: KEYSTONE

CVP-Präsident Gerhard Pfister forderte kürzlich in der Schweiz am Wochenende, dass Bundesräte bei der Festlegung ihres Rücktrittstermins nicht nur an sich denken, sondern auch an Gemeinwesen und an Partei. Wenn «zwei oder drei Bundesräte gleichzeitig den Rücktritt» beschliessen würden, so Pfister, erlaube dies der «Bundesversammlung eine grösstmögliche Auswahl bei den Regionen, Sprachen und der Eignung für das Amt».

Pfisters Wunsch in Leuthards Ohr? Auf Anfrage will sich der CVP-Präsident ausdrücklich nicht zur Frage äussern, ob Leuthards Ankündigung eine Aufforderung an Schneider-Ammann oder Maurer ist, den gemeinsamen Rücktritt ins Auge zu fassen.

Nicht zuletzt stellt Leuthard mit ihrer Ankündigung aber die Burkhalter-Nachfolge, über die am 20. September entschieden wird, in ein neues Licht. Ist der im Tessin fast einstimmig nominierte Favorit Ignazio Cassis wirklich die richtige Wahl? Oder braucht es nun zusätzlich eine Frau? «Laura Sadis wäre jetzt eigentlich die passende Tessiner Kandidatin», sagt ein Beobachter.

Aber Sadis ist nicht auf dem Tessiner Ticket. Und die FDP will solche Gedanken gar nicht erst aufkommen lassen. Im Auftrag der ferienabwesenden FDP-Präsidentin Petra Gössi sagt Generalsekretär Samuel Lanz: «Aus unserer Sicht ändert die Ankündigung von Doris Leuthard nichts. Weder an der Ersatzwahl für Didier Burkhalter noch an der Ankündigung von Johann Schneider-Ammann, bis Ende Legislatur zu bleiben. Wir planen unabhängig von anderen Parteien und ihren Regierungsmitgliedern.»

Die sieben bisherigen Tessiner Bundesräte

1 / 9
Die sieben bisherigen Tessiner Bundesräte
Flavio Cotti (CVP) gehörte dem Bundesrat von 1987 bis 1999 an.
quelle: keystone / martin ruetschi
Auf Facebook teilenAuf X teilen

Auch CVP-Chef Pfister glaubt nicht, dass Leuthards Ankündigung die Chancen von Cassis schmälert: «Die Frauenfrage stellt sich zwar zu Recht und zusätzlich. Aber: Die möglichen FDP-Kandidatinnen kommen aus der Waadt, und die Waadt ist bereits im Bundesrat vertreten.»

Leuthard eine «lame duck»?

Was aber mit der Leuthard-Durchsage ändere, so FDP-Generalsekretär Lanz: «Leuthard wird jetzt eine ‹lame duck›. Wer seinen Rücktritt lange vorher ankündigt, verliert an Durchschlagskraft.» Er sieht im Schritt der Aargauerin denn auch parteipolitische Überlegungen: «Der CVP hat sie damit einen Dienst erwiesen. Der Sitz der Partei dürfte unbestritten sein, wenn Leuthard vor den nächsten nationalen Wahlen tatsächlich zurücktritt.» Will heissen: Die zuletzt erstarkten Grünen könnten ihre Hoffnung, bald in den Bundesrat einzuziehen, vorerst vergessen.

Doris Leuthard, eine «lahme Ente»? CVP-Chef Pfister wehrt ab: «Eine ‹lame duck› wird eine starke Persönlichkeit wie Doris Leuthard nicht. Bei anderen würde das Risiko bestehen, aber Leuthard hält das aus, sie zeigt auch keinerlei Amtsmüdigkeit oder Erschöpfungserscheinungen.»

Wäre eine Mehrfachvakanz wünschenswert, um mehr Optionen zu haben? Auch das sieht FDP-General Lanz nicht so: «Bundesratswahlen sind Persönlichkeitswahlen, parteiübergreifende Strategien sind illusorisch. Sonst wären 2010 mit Johann Schneider-Ammann und Simonetta Sommaruga nicht zwei Berner gewählt worden.»

Doris Leuthard kann entspannt abwarten, ob sich Schneider-Ammann oder Maurer bei ihr melden. Einige rechnen damit, dass sie innert Jahresfrist ihren Rücktritt erklärt. Ginge einer der AHV-Rentner mit ihr, öffnete sich der Spielraum bei Neuwahlen. Die CVP, bei der vor allem Männer um die Nachfolge buhlen, stünde weniger unter Zugzwang, eine Frau ins Rennen zu schicken. Ginge auch Schneider-Ammann, erhöhte das die Chancen von Karin Keller-Sutter, doch noch Bundesrätin zu werden.

Vorerst geht es aber um die Burkhalter-Nachfolge. Bei der FDP rechnet man damit, dass neben Cassis zwei oder drei Welsche antreten. Regierungsrätin Jacqueline de Quattro (VD) hat ihre Kandidatur angekündigt. Ob auch Nationalrätin Isabelle Moret (VD) antritt, ist offen. Erwartet werden zudem Männer-Kandidaturen aus Genf und Freiburg. 

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
45 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
pun
02.08.2017 08:11registriert Februar 2014
Martullo-Blocher hat keinen Leistungsausweis und das Parlament musste ihren Vater wegen Unfähigkeit, ein Bundesrat fürs ganze Land zu sein, abwählen.

Wie kommts, dass sie als "aussichtsreichste Kandidatin" gehandelt wird?
10319
Melden
Zum Kommentar
avatar
chandler
02.08.2017 07:57registriert Februar 2014
Also ich verstehe dieses ganze Theater nicht ganz. Sie tritt doch nicht zurück, sie hat nur gesagt, dass Sie für die nächste Periode nicht mehr zur Wahl steht. Und diese Wahl ist in 2 Jahren, also bleibt doch noch mehr als genug Zeit. Oder sehe ich das falsch?
741
Melden
Zum Kommentar
avatar
giguu
02.08.2017 07:05registriert Dezember 2015
martullo im bundesrat? 🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣🤣
6215
Melden
Zum Kommentar
45
St. Galler Amtsleiter reiste für mehrtägige Wolfsjagd nach Russland – und erntet Kritik

Der Leiter des Amtes für Natur, Jagd und Fischerei des Kantons St. Gallen hat zusammen mit einem Wildhüter während der Arbeitszeit in Russland an einer mehrtägigen Wolfsjagd teilgenommen. Das berichtet das SRF-Regionaljournal Ostschweiz. Naturschutzverbände kritisieren die Reise als «Erlebnisreise» ohne tatsächlichen Erkenntnisgewinn.

Zur Story