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So putschen die Jenischen ihren Boss weg

Jenische besetzten im April die Kleine Allmend in Bern, um auf den Mangeln an Plätzen aufmerksam zu machen.
Jenische besetzten im April die Kleine Allmend in Bern, um auf den Mangeln an Plätzen aufmerksam zu machen.Bild: KEYSTONE
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So putschen die Jenischen ihren Boss weg

Zwei Familienclans streiten um die Vormacht unter Schweizer Fahrenden. Für den Bund ist klar: Der Präsident der Radgenossenschaft muss weg.
18.09.2014, 02:3818.09.2014, 08:03
Daniel Fuchs / Aargauer Zeitung
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Aargauer Zeitung

Ein Mann muss weg: Die junge «Bewegung der Schweizer Reisenden», deren Proteste für mehr Stellplätze für Schweizer Fahrende Schlagzeilen gemacht haben, will Daniel Huber von der ältesten Jenischen-Organisation loswerden. Der Sesshafte und Präsident der Radgenossenschaft unternimmt aus ihrer Sicht zu wenig, dass es endlich vorwärts geht im Kampf um Stand- und Durchgangsplätze. Da kam ein eingeschriebener Brief an die Radgenossenschaft gerade recht. Claude Gerzner, Mitglied der «Bewegung», erhielt den Brief zugespielt und veröffentlichte ihn auf Facebook. Darin stellt das Bundesamt für Kultur (BAK) Huber und seiner Organisation ein Ultimatum. 

Daniel Huber, Präsident der Radgenossenschaft, soll nach dem Willen des Bundes neuen Leuten Platz machen.
Daniel Huber, Präsident der Radgenossenschaft, soll nach dem Willen des Bundes neuen Leuten Platz machen.Bild: www.stiftung-fahrende.ch

Ausgehubert?

Der Grund für das Eingreifen liegt in einem klaffenden Loch der Kasse. Die Radgenossenschaft, die das kulturelle Erbe der Jenischen pflegt, soll mit 120'000 Franken unterfinanziert sein. Der Konkurs droht, weil ihr Präsident Huber sich eine Lohnerhöhung und Vorschüsse genehmigt haben soll. Um den Konkurs abzuwenden, ist das BAK bereit, einzuspringen und Geld vorzuschiessen. Es will das Geld aber nur freigeben, wenn Präsident und Verwaltungsrat zurücktreten und die Radgenossenschaft Strukturen schafft, um künftig «professioneller und transparenter» aufgestellt zu sein. Bis Ende Jahr bleibt Zeit, die Bedingungen zu erfüllen. Bis Montag muss die Radgenossenschaft Stellung beziehen.

Huber sieht sich als Opfer einer Kampagne. «Ich soll als Sündenbock herhalten», sagt er. An den Vorwürfen sei nichts: «Mein Lohn stieg nicht. Ich habe vielmehr mein Arbeitspensum erhöht. Und das hat die Generalversammlung so abgesegnet.» Wie das Loch in der Kasse entstehen konnte, weiss Huber nicht. «Mit meinem Lohn oder Vorbezügen hat es aber sicher nichts zu tun. Ich habe gar keine Befugnis, im Alleingang Geld auszubezahlen.» Huber ist enttäuscht: Die Mitglieder der «Bewegung» versuchten mit ihrem Vorgehen die fahrenden Jenischen gegen jene auszuspielen, die sesshaft geworden seien. «Ich selber bin sesshaft, seit ich die Radgenossenschaft präsidiere. Eine solche arbeitsintensive Funktion, mit einem Büro in Zürich, könnte ich gar nicht erfüllen, wäre ich auf Achse», sagt er.

«Wenn es der Radgenossenschaft nicht gelingt, endlich mehr Plätze zu finden, dann verwaltet der Bund das Geld besser gleich selber», sagt Mike Gerzner (links), Präsident der «Bewegung der Schweiz ...
«Wenn es der Radgenossenschaft nicht gelingt, endlich mehr Plätze zu finden, dann verwaltet der Bund das Geld besser gleich selber», sagt Mike Gerzner (links), Präsident der «Bewegung der Schweizer Reisenden».Bild: KEYSTONE (Archivbild)

Rechtliches Nachspiel?

Claude Gerzner von der «Bewegung» macht keinen Hehl aus seinen Absichten: Huber müsse weg, dann sei der Weg frei für einen Neuanfang. Wie aber soll ein solcher aussehen? Will die noch junge «Bewegung» die Funktion der Radgenossenschaft übernehmen und die Bundesgelder gleich selber einstreichen? «Nein, nein», sagt Gerzner entsetzt, «darum geht es uns nicht». Sein Neffe Mike Gerzner, Präsident der «Bewegung», fügt an: «Wenn es der Radgenossenschaft nicht gelingt, endlich mehr Plätze zu finden, dann verwaltet der Bund das Geld besser gleich selber.»

Soll das BAK selber Boden kaufen und ihn an Fahrende vermieten? David Vitali, federführender Leiter der Sektion Kultur und Gesellschaft: «Das könnte eine Aufgabe der Stiftung Zukunft für Schweizer Fahrende werden. Diese und andere Optionen sind zu prüfen.» Der Bund setze eine Arbeitsgruppe ein, die einen Ausweg aus der verfahrenen Situation aufzeigen soll. Die Vertreter verschiedener Organisation – darunter Radgenossenschaft und «Bewegung» – seien angeschrieben, und nähmen noch dieses Jahr ihre Arbeit auf. Doch die Jenischen sind heillos zerstritten. Vitali hält am Ultimatum seines Amts fest: «Die Radgenossenschaft droht Konkurs zu gehen. Wir sind bereit, mit einem Vorschuss auszuhelfen. Dieser ist aber an unsere Bedingungen geknüpft.» Mit anderen Worten: Huber soll weg. (trs)

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