Für viele Nationalräte ist die Vorstellung ein Graus: Kommissionssprecher zu sein, wenn eine Initiative im Plenum behandelt wird. Denn bei einer Volksinitiative ist das Mikrofon frei für alle Nationalräte – im Gegensatz zu den übrigen Debatten, die strukturiert sind. Deshalb sind die Reihen bei der Beratung von Initiativen meist stark gelichtet. Wer kann, der geht. Zum Zuhören verpflichtet ist der Bundesrat, der Ratspräsident oder sein Vize – sowie die beiden Kommissionssprecher.
In der Junisession wird der Nationalrat über die Selbstbestimmungsinitiative befinden. Für die Kommission wird FDP-Nationalrat Kurt Fluri berichten. Wie so oft. Der Solothurner gehört zu den Ausnahmen im Parlament: Er ist gerne Sprecher – weil die Sessionen sonst langweilig seien. Bei der Selbstbestimmungsinitiative macht die Kommission für Fluri gar eine Ausnahme: Es ist nicht vorgesehen, dass der Kommissionspräsident die Rolle des Sprechers übernimmt. So ist es im Geschäftsreglement festgehalten. Die Gewährung der Ausnahme dürfte den Ratskollegen leicht gefallen sein.
Der Kommissionssprecher: Er erstattet Bericht über die Beratungen und vertritt die Anträge der Kommission. Im Nationalrat gibt es einen französisch- und einen deutschsprachigen Sprecher. «Man soll keine Politik machen und die Sache in den Vordergrund stellen», sagt CVP-Nationalrätin Ruth Humbel. Das A und O: eine gute Vorbereitung. Die Kommissionsprotokolle und alle Berichte nochmals lesen. Die Argumente der Mehr- und Minderheiten präsent haben. Das sei gar nicht so einfach, sagt SP-Nationalrat Beat Jans: «Weil die Debatten in der Kommission nicht immer offen geführt werden und die Motive unklar bleiben.»
Die Kommissionssprecher bereiten ihre Voten schriftlich vor: Einerseits, weil die Dolmetscher das wünschen. Andererseits, weil man die Arbeit gründlich machen will. Der politische Gegner hört genau mit, ob der Sprecher ausgewogen berichtet. Die Voten der Kommissionssprecher sind weniger entscheidend für die Debatte als später für die Richter: Wenn sie die Gesetze auslegen müssen, greifen sie zuerst auf die Wortprotokolle der Ratsdebatte zurück, um den Willen des Parlamentes zu erkennen.
Letzte Woche endete eine Sitzung der Rechtskommission mit einem Eklat. SVP-Nationalrat Hans-Ueli Vogt wurde zwar als Sprecher gewählt. Weil das Ergebnis knapp war, fragte er nach, weshalb. Linke und SVPler hatten Vorbehalte, weil seine Partei die Aktienrechtsrevision nicht unterstützt. Vogt verliess die Sitzung – und der Präsident machte Christa Markwalder (FDP/BE) zur Sprecherin.
Humbel, Fluri und Jans sagen unisono: Wahlen für das Amt des Kommissionssprechers seien unüblich. Wenn, so Humbel, komme das bei kleinen Geschäften vor. Bei komplexen Vorlagen hingegen – wie der Reform der Altersvorsorge, der Ergänzungsleistungen (EL) oder eben des Aktienrechts – sei das selten, weil die Interessenten fehlen. Dass die kleinen Geschäfte beliebter sind, hat einen pekuniären Grund: Als Kommissionssprecher bekommt man pro Tag zusätzlich 220 Franken Sitzungsgeld. Bei schwierigen Vorlagen muss man sich diesen Lohn wesentlich härter erarbeiten. So wendete Humbel zur Vorbereitung der Debatte zur EL-Reform vier Tage auf.
Bei den grossen Geschäften würden jene Kommissionssprecher, welche die Vorlage wesentlich geprägt haben, sagt Humbel. Bei den komplexen Geschichten kommt es aber auch immer vor, dass der Sprecher Mehrheiten vertreten muss, die er selbst nicht unterstützt. Fluri nimmt sich in solchen Situationen zurück, gibt einfach das Resultat der Abstimmung in der Kommission wieder. Spielraum erhält man dadurch, dass die beiden Kommissionssprecher, die nie das gleiche Parteibuch haben, sich absprechen und unterschiedliche Schwerpunkte setzen können.
Fluri zählt sich zu jenen Kommissionssprechern die mit Herzblut auftreten. Sich aktiv um Argumente bemühen und die Mehrheiten gründlich begründen. «Zu fest über die Schnur hauen darf man aber nicht», sagt der Freisinnige. Sonst riskiert man nämlich die Frage: «Geschätzter Kollege: In welcher Funktion haben Sie dieses Votum gehalten?» So harmlos die Frage auch klingt, es ist die Höchststrafe für einen Kommissionssprecher. Weil an seiner Objektivität gezweifelt wird.