Der Fall des 28-jährigen YB-Fans, der sich nachweislich nicht an den Ausschreitungen vom 4. Mai 2013 während des Matchs des FC St.Gallen gegen die Berner Young Boys beteiligt hat und zu Unrecht verhaftet wurde, wird an der gängigen Ermittlungspraxis der Behörden nichts ändern. Das machen die St.Galler ebenso wie die Berner Behörden im Gespräch mit watson klar. Eine 100-prozentige Sicherheit in jedem Fall die wahren Täter zu erwischen, gebe es nicht, betonen die involvierten Instanzen.
Das musste der YB-Fan, der von der Berner Kantonspolizei in Gewahrsam genommen und der Staatsanwaltschaft St.Gallen überstellt wurde, am eigenen Leib erfahren. Der Schock sitzt tief. Das Vertrauen in die Justizbehörde ist erschüttert.
Dass die Staatsanwaltschaft dem YB-Fan überdies mit U-Haft drohte, als er seine Beteiligung an den Ausschreitungen bestritt – so schildert die Schweiz am Sonntag die Geschichte –, zeigt, was die St.Galler in Fällen wie diesen von der Unschuldsvermutung halten: nichts. Die Gefahr, als unbescholtener Fussballfan verhaftet zu werden, scheint in unserem Land virulent. Wie sich das mit unseren rechtsstaatlichen Prinzipien vereinbaren lässt, bleibt schleierhaft.
Thomas Hansjakob, leitender Staatsanwalt des Kantons St.Gallen und bekannt als Hardliner in Sachen Fussballgewalt, schob den Schwarzen Peter im Interview mit watson der Berner Kantonspolizei zu. Sie habe zu einigen Bildern falsche Namen genannt, aufgrund deren die Ermittlungen gegen den YB-Fan eingeleitet worden seien. Die Folge: Die Staatsanwaltschaft hat einen Unschuldigen zu einem der zwei Hauptverdächtigen gemacht.
Zwar geben sich die Behörden einsichtig, eine solche Verwechslung dürfe nicht passieren, verbitten sich jedoch von einem Versagen zu sprechen. Doch genau das ist es: ein Versagen. Gerade weil die St.Galler Staatsanwaltschaft die fallführende Instanz in diesem Fall war, steht sie in der Verantwortung, Indizien auf ihre Richtigkeit zu prüfen. Das ist ihre Pflicht und das hat sie in diesem Fall sträflich vernachlässigt – eine krasse Fehlleistung.
Das Hooligan-Konkordat hat den Justizbehörden Tür und Tor geöffnet, willkürlich und auf Vorrat Fussballfans im Internet an den Pranger zu stellen und zu verhaften. Eine solch mittelalterliche Vorgehensweise – notabene in der Schweiz – ist mehr als fragwürdig. Ein Recht auf Vergessen wird damit verunmöglicht, Fans in der ganzen Schweiz werden für die Vergehen einzelner in Sippenhaft genommen.
Die Berner Kantonspolizei muss sich derweil den Vorwurf gefallen lassen, bei der Identifizierung mittels Bildmaterial aus St.Gallen unsorgfältig gearbeitet zu haben. Deren Pressesprecher Christoph Gnägi sagt dazu: «Bei der erwähnten Person haben wir einen Fehler gemacht. Es gab eine Verwechslung. Doch wo Menschen arbeiten, passieren Fehler. Das tut uns leid.» Man habe den Fall intern diskutiert, werde aber an der gängigen Praxis nichts ändern.
Nun, es liegt auf der Hand: Mit dieser Vorgehensweise werden auch inskünftig Kollateralschäden in Kauf genommen. Fussballfans und Randalierer werden in denselben Topf geworfen. «Dass wir einen jungen Mann verhaftet haben, der nichts mit der Sache zu tun hatte, ist sehr unglücklich», kommentiert Thomas Hansjakob die Angelegenheit lapidar und legt den Fall ad acta. Einsicht klingt anders.
Dergestalt wird sich der Fall des 28-jährigen YB-Fans mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit wiederholen. Das ist, man kann es nicht anders sagen, ein Armutszeugnis für die Schweizer Justiz.