Fünf Tage ist es her, seit in Flaach ZH zwei tote Kinder gefunden wurden. Die Mutter der Kinder, die wenig später in der Nähe des Hauses mit nicht tödlichen Verletzungen aufgegriffen wurde, steht unter dringendem Tatverdacht. Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde KESB, die die Unterbringung der Kinder in einem Heim angeordnet hatte, sieht sich nun immer heftigerer Kritik ausgesetzt.
Insbesondere der kurz vor den Feiertagen erfolgte Entscheid, wonach die Kinder die Feiertage bei der Mutter verbringen dürften, anschliessend aber wieder in ein Kinderheim untergebracht werden sollen, sorgt bei der Anwältin der 27-jährigen Mutter für Unverständnis. «Die KESB hat offensichtlich noch vor den Feiertagen einen Entscheid erzwungen. Danach stand der Laden still», so Anwältin Daniela Fischer gegenüber der NZZ.
Bei der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB) haben die Ressourcen für einen Pikettdienst gefehlt, um die Mutter aus Flaach ZH zu begleiten, die ihre Kinder umgebracht haben soll. Die bürgerliche Parlamentsmehrheit hatte einen solchen Pikettdienst verhindert. Es brauche eine telefonische Erreichbarkeit, so dass die KESB auch über die Wochenenden intervenieren könne. «Man kann nicht alles immer auf die Polizei abschieben», sagte Justizdirektor Martin Graf damals. «Und die Verfügbarkeit von Ärzten nimmt ebenfalls nicht zu.»
Bei der bürgerlichen Ratsmehrheit fand Graf damit allerdings kein Gehör. Einen Pikettdienst im Gesetz zu verankern, fanden SVP, FDP, BDP, GLP und EDU unnötig. Dringend notwendige Massnahmen könne die KESB gut zu Bürozeiten treffen. In hochdringlichen Fällen seien ja ohnehin Stellen wie die Polizei, Ärzte, Psychiatrie, das Kinderspital oder die Staatsanwaltschaft zuständig. Der Pikettdienst generiere nur unnötige weitere kostspielige Strukturen. Der Zürcher Kantonsrat lehnte den Notfalldienst schliesslich mit 101 zu 57 Stimmen ab.
Ruedi Winet, der Zürcher Kantonalpräsident, will die Vorwürfe gegen die KESB nicht sitzenlassen. In einem Interview mit der «Sonntagszeitung» sprach Winet von einem «grauenvollen Missverständnis». Die Mutter hatte den Entscheid der Behörde allem Anschein nach falsch interpretiert und ist davon ausgegangen, dass ihre Kinder bis Herbst 2016 im Heim bleiben müssten.
Es sei aber nicht Aufgabe der KESB, einen Entscheid zu erklären, dies liege in der Verantwortung des Rechtsvertreters der betroffenen Person, so Winet in einem Interview mit «20 Minuten». Zwar stünde die KESB zur Verfügung, wenn allfällige Fragen seitens der Betroffenen auftauchten, da die Mutter in dem betreffenden Fall aber auf einen Rechtsbeistand zählen konnte, sei dies kein Thema gewesen.
Der traurige Höhepunkt des Dramas ereignete sich dann am Neujahrstag: Anwältin Daniela Fischer informierte ihre Mandantin über den negativen Entscheid des Bezirksrat Winterthur zur kurz zuvor eingereichten Beschwerde gegen die vorsorgliche Massnahme der KESB. Die Mutter schrieb gemäss «Tages-Anzeigers» noch eine Whatsapp-Nachricht an ihren Vater: «Es isch zspat, kinde sind im himmel und ich gha jetzt au. Lueg guet am mami und danke dasi di als daddy ha dörfe ha. Ich lieb di.» Als die Polizei in der Wohnung der Mutter eintrifft, kann sie nur noch den Tod der beiden Kinder feststellen.
Es bleiben viele offene Fragen: Zum Beispiel, warum die Kinder nicht bei den Grosseltern untergebracht wurden. Die Eltern der 27-Jährigen hatten bereits im November die KESB ersucht, die Kinder bei sich aufnehmen zu dürfen. Auch die Kommunikation zwischen der KESB und der Mutter, beziehungsweise der Anwältin der Mutter, sowie zwischen der Anwältin und ihrer Mandantin scheint alles andere als reibungslos verlaufen zu sein.
Der Vater und die Mutter der beiden Kinder gerieten im Herbst wegen mutmasslicher Betrügereien ins Visier der Polizei, wie der «Tages-Anzeiger» schreibt. Unter anderem wird den Eltern vorgeworfen, dass Mieten nicht bezahlt wurden. Ende Oktober hebt die KESB das Recht der Eltern auf, den Aufenthalt ihrer Kinder zu bestimmen. Wenige Tage später findet eine Polizeiaktion im Haus der Eltern statt, die Kinder werden in ein Zürcher Kinderheim gebracht.
Die Familie führte in den letzten Jahren ein unstetes Leben. Gemäss Informationen des «Tages-Anzeigers» wechselte die gelernte Pflegeassistentin seit 2009 11-mal den Wohnort, der Vater, ein arbeitsloser Detailshandelsangestellter, zog im gleichen Zeitraum sogar 14-mal um. Nicht zuletzt die unsteten Familienverhältnisse waren für die KESB wohl Grund, die Kinder der Obhut des jungen Paares zu entziehen.
In den sozialen Medien und in Leserbriefspalten häufen sich derweil die kritischen Kommentare, viele berichten von eigenen negativen Erfahrungen mit der Kinderschutz-Behörde. Nur vereinzelt sind Stimmen zu vernehmen, die dazu mahnen, die Ereignisse zuerst aufzuarbeiten.
#KESB die unfähigste Behörde in der ganzen CH Landschaft! #schande
— TC Capulcu Lewu (@Lewu1973) 5. Januar 2015
@ViktorAckermann @samuelbalsiger Verhindern kann man nichts. Ich habe die Nase voll von der KESB
— Hedwig Stutz (@Pfauenvogel) 5. Januar 2015
hat die schweiz tatsächlich keine lehren aus dem skandal mit den verdingkindern gezogen? #flaach #KESB
— Erich Schätti (@erich_schaetti) 5. Januar 2015
Gleichzeitig mehren sich die Kommentare, die eine voreilige Politisierung des Geschehens beklagen. Es gehe nicht an, dass Politik auf dem Rücken der toten Kinder betrieben werde, so ein Twitter-User.
Sofort wird auf dem Rücken der toten Kinder Politik betrieben. Wie armselig ist dass denn? #Kesb
— Mike (@o_loops) 5. Januar 2015
@Pfauenvogel Auch ich sehe die ganze Reorganisation #KESB als falsch an. Mir schmeckt aber grad der politische Umgang mit dem Thema nicht.
— Viktor Ackermann (@ViktorAckermann) 5. Januar 2015
Heute oder morgen soll die Mutter von der Staatsanwältin des Kantons befragt werden.