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«... dieses intime Glück der Tunneleröffnung ...»: Das schreiben die Zeitungen zum Gotthard

«... dieses intime Glück der Tunneleröffnung ...»: Das schreiben die Zeitungen zum Gotthard

02.06.2016, 05:1602.06.2016, 06:47
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Am Tag nach der Eröffnung des Gotthard-Basistunnels loben die Kommentatoren der Schweizer Zeitungen die hiesigen Ingenieursleistungen und die direkte Demokratie. Gleichzeitig nehmen sie die Nachbarländer Italien und Deutschland in die Pflicht.

Neue Luzerner Zeitung

«Der neue Gotthardtunnel ist nicht nur eine Meisterleistung schweizerischer Präzisions- und Ingenieurskunst. Er ist auch ein direktdemokratisches Meisterstück, Ausdruck von Innovationsfreude der Bürgerinnen und Bürger», schreibt die «Neue Luzerner Zeitung» in ihrem Kommentar am Donnerstag. Doch die viel gepriesene Leistungsfähigkeit der NEAT bleibe Theorie, bis die Zufahrten aus Norden und Süden ausgebaut sind. «Da wartet noch viel Arbeit auf Bundesrat und Diplomaten.»

Berner Zeitung

Auch die «Berner Zeitung» kommentiert:

«Nun stellt die Schweiz Europa Quasi einfach so einen Tunnel zur Verfügung – in einem Moment, in dem das Verhältnis zur Europäischen Union so ungeklärt ist wie noch nie. Das Hauptinteresse, das die Schweiz dabei verfolgt, ist die Verlagerung des Güterverkehrs auf die Schiene. Aber diese Verlagerung funktioniert nur, wenn unsere Nachbarländer auch ihren Teil dazu beitragen.»

Nordwestschweiz

Die «Nordwestschweiz» richtet den Fokus weiter auf die EU: «Die Schweiz hat den neuen Tunnel gestern mit viel Selbstbewusstsein eröffnet. Mit demselben Selbstbewusstsein sollte sie nun auch ihre Interessen gegenüber Europa wahrnehmen – wenn es um die Zufahrtsstrecken zum neuen Tunnel geht, aber auch wenn es um unsere bilateralen Beziehungen und um die Regeln der Zuwanderung geht.»

«Dieser Tunnel ist ein Zeuge aus einer anderen Zeit...»
St.Galler Tagblatt

St.Galler Tagblatt

«Politisch», schreibt das «St. Galler Tagblatt», «ist dieser Tunnel ein Zeuge aus einer anderen Zeit, (...) als die Integration dieses Landes in ein europäisches Projekt politisch möglich und vielen erstrebenswert erschien.» (...) «Und es ist eine Ironie der Geschichte, dass sich ausgerechnet jetzt, da das Bauwerk seinen Nutzen entfalten kann, die Frage nach dem Verhältnis zur EU in neuer Schärfe stellt. Immerhin: Wer 57 Kilometer Fels durchbohren kann, der sollte auch hierauf eine Antwort finden.»

Südostschweiz

Skeptischer klingt der Kommentar in der «Südostschweiz»: «Der alpenquerende Gütertransitverkehr von Grenze zu Grenze erfolgt nach wie vor zu häufig auf der Strasse. (...) Die Neat – gestern feierlich eröffnet, frenetisch gefeiert im In- und Ausland – könnte den nötigen Schub liefern. (...) Den Tatbeweis wird die Neat allerdings nie antreten können – zu gewichtig ist die Schweizer Strassenlobby. Kaum sind die Bagger am Gotthard abgezogen, fahren sie nämlich wieder auf: für einen zweiten Strassentunnel.»

Le nouvelliste/L'Express/L'Impartial

Das verbindende Element des Tunnel-Baus heben die Westschweizer Zeitungen «Le nouvelliste», «L'Express» und «L'Impartial» hervor: Er eröffne der EU eine Achse für effizienten Warentransit zwischen Rotterdam und Genua und dürfte dabei helfen, den Graben zuzuschütten, der die Annahme der Masseineinwanderungsinitiative aufgerissen habe.

«Kaum sind die Bagger am Gotthard abgezogen, fahren sie nämlich wieder auf: für einen zweiten Strassentunnel.»
Südostschweiz

Basler Zeitung

Die Stärken und Schwächen der Schweiz kristallisiert die «Basler Zeitung» heraus: 

«Tunnel, das ist unser Alleinstellungsmerkmal, unsere Bestimmung, unsere Mission. Wir können Tunnel viel besser als etwa Flüchtlingspolitik oder Energiepolitik oder Flugzeuge kaufen oder Savoir-vivre. (...) Das war ein famoser Tag gestern für unser Land; Tränen, Tunnels und Tugenden am heiligen Berg der Schweiz.»

Auch einen Vergleich mit dem nördlichen Nachbarn zog das Blatt: «Die Schweizer Tugenden sind auch die deutschen: Organisation, Pünktlichkeit, Erfindungsgeist. (...) Auch diese Feier wird zu Ende gehen und die nächste Steuer-CD kommt bestimmt.»

Blick

Ein Loblied stimmte der «Blick» an: «Unsere Ingenieure haben mit der Flachbahn die Ideallinie gefunden. Geradliniger gehts nicht mehr durch den Berg. Die Mission ist erfüllt. Wir teilen dieses intime Glück der Tunneleröffnung mit ganz Europa. (...) Aber klar ist es schwierig, unsere Emotionen für ein Loch, das während 57 Kilometern gleich aussieht, rational zu erklären. Eigentlich geht das nicht, man muss es spüren.»

Bund/Tages-Anzeiger

Und auch der Kommentator in «Bund» und «Tages-Anzeigers»: «All die Worte über den ‹historischen Tag›, das ‹Jahrhundertbauwerk› und den ‹Stolz› nutzen sich in der Wiederholung etwas ab. Aber sie bleiben wahr: Das war ein grosser Tag für die Schweiz.»

«... dieses intime Glück der Tunneleröffnung ...»
Blick

Tribune de Genève

Nach dem Bau, so fordert der Kommentar in der «Tribune de Genève», müsse die Schweiz nun in «Graue Substanz» investieren. Jetzt, da die Infrastruktur bereitstehe, könne das Land mit ambitiösen Programmen in Wissenschaft, Forschung und Entwicklung glänzen. (egg/sda)

Eröffnung des Gotthard-Basistunnels

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Eröffnung des Gotthard-Basistunnels
Der Gotthard Basistunnel ist mit rund 57 Kilometer der längste Tunnel der Welt. Hier Westroehre des Gotthard Basistunnels fotografiert vom Zugangstollen Amsteg Richtung Sueden. (Bild: KEYSTONE)
quelle: gaetan bally / gaetan bally
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So erlebte ich die Gotthard-Eröffnung als Bildredaktor

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So erlebte ich die Gotthard-Eröffnung als Bildredaktor
Am Gotthard ging heute die Post ab: Die Eröffnung des Gotthard-Basistunnels.
quelle: x90184 / arnd wiegmann
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Eine Stunde und 20 Minuten länger – so war der Stau am Gründonnerstag

Zum Beginn der Osterfeiertage ist es am Donnerstag vor dem Gotthard-Nordportal zu neun Kilometern Stau gekommen. Der Zeitverlust betrug am Nachmittag eine Stunde und 20 Minuten. Auf der Südseite des Gotthards blieb es nach den Schneefällen vom Mittwoch ruhig, Stau gab es im Tessin nur beim Grenzübergang zu Italien in Chiasso.

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