Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) ist aus Sicht des Osteuropa-Experten André Liebich die einzige Institution, in der Westen und Osten noch diskutieren können. Am Donnerstag und Freitag treffen sich die Aussenminister der OSZE-Staaten in Basel (siehe Box unten).
«Das war ein gutes Jahr der Schweizer Diplomatie», sagt Liebich, Dozent des Hochschulinstituts für internationale Studien und Entwicklung in Genf (IHEID), im Gespräch mit der Nachrichtenagentur SDA.
Die Schweiz, die im ablaufenden Jahr den OSZE-Vorsitz innehatte, sei für diese Rolle prädestiniert gewesen. Mit ihrer aktiven Neutralität habe sie sich stark eingesetzt, und ihr Handeln sei im Grossen und Ganzen gut akzeptiert worden, meint Liebich.
Oft habe die Organisation unter der Leitung von Bundespräsident Didier Burkhalter in der Ukraine-Krise «Feuer löschen» müssen. Dabei habe sie sich aber das Vertrauen beider Konfliktparteien bewahren können.
Die Konsensregel der OSZE wertet der Professor für internationale Geschichte und Politik gleichzeitig als Stärke und als Schwäche. Die Organisation habe nicht die Möglichkeit, Lösungen durchzusetzen.
Folglich habe die Organisation auch nie versucht, den Schiedsrichter zu spielen. «Sie hat versucht, die Protagonisten an einen Tisch zu bringen und dazu, einander zuzuhören und selber Lösungen zu suchen», sagte der Osteuropa-Experte.
Indem die OSZE niemanden bedroht habe, sei sie von beiden Seiten respektiert oder zumindest toleriert worden. Im Ukraine-Konflikt habe sie mit ihren Mitteln als Mediatorin das «gemacht, was sie konnte». Und im Gegensatz zu den Berichten anderer Organisationen – etwa der NATO – habe man den OSZE-Berichten über die Lage in der Ukraine vertrauen können.
Liebich könnte sich vorstellen, dass beim Ministerratstreffen in Basel Druck für einen Ausschluss Russlands aus der OSZE aufgebaut werden könnte. Dafür gibt es einen Präzedenzfall in der Geschichte der Organisation: 1992 wurde das damalige Jugoslawien wegen des Nicht-Befolgens von OSZE-Prinzipien wie Respekt der Menschenrechte und territoriale Integrität suspendiert.
Ein solches Ausschlussgesuch wäre laut Liebich eine «radikale Geste» von Ländern, die gegenüber Russland besonders aufgebracht seien, wie die baltischen Staaten oder Polen. Mit einer Konsensentscheidung für einen Ausschluss rechnet er aber nicht. Es wäre eher eine «Art Ehrengefecht», sagte er.
Er beobachte, dass der Kreml sich kaum mehr bemühe, die NATO oder die EU von der eigenen Redlichkeit zu überzeugen. Bei der OSZE, bei der es auch weniger feindlich gestimmte Mitglieder gebe, sei dies aber anders.
Andere latente Konflikte in Europa traten zuletzt wegen der Ukraine-Krise in den Hintergrund. Aserbaidschan und Armenien hätten sich im Streit um die Grenzregion Bergkarabach nicht angenähert.
Im von der Republik Moldau abtrünnigen Transnistrien und in Mazedonien herrsche ein Status quo. Auch die anderen Konflikte auf dem Balkan sind laut Liebich nicht gelöst; dafür bräuchte es aber einen «einflussreicheren Akteur» als die OSZE.
Eine der Prioritäten des Schweizer OSZE-Vorsitzes ist die Reform der Organisation anlässlich ihres 40-jährigen Bestehens. Liebich schlägt vor, im Rahmen dieses «Helsinki +40» genannten Prozesses das Personal der OSZE prominenter zu machen.
Der Generalsekretär – aktuell der Italiener Lamberto Zannier – «sollte jemand sein, den jeder mit Namen kennt». Zudem sei die Dauer des turnusmässigen Vorsitzes mit einem Jahr zu kurz, um Vorstösse des jeweiligen Vorsitz-Landes umzusetzen und effizient zu arbeiten, meint Liebich.
Am 1. Januar 2015 übernimmt Serbien von der Schweiz den OSZE-Vorsitz. Diese Präsidentschaft werde wohl in Moskau besser aufgenommen als in Brüssel, prognostiziert der Experte. Wenn sich die Fronten verhärten sollten, könnten sich sogar einige Länder von der OSZE abwenden. «Doch wohin wollen sie gehen?», fragt sich Liebich. (sda)