In der Wohnung im Kreis 6 in Zürich riecht es nach Zimt. Kunst-Schneeflocken liegen auf den Möbeln, aus den Lautsprechern dröhnt der Mariah-Carey-Welthit «All I want for Christmas is you». Stephanie steht auf den Zehenspitzen und schmückt bedacht ihren Christbaum, neben ihr liegt ein Weihnachtskalender.
Bereits Wochen zuvor hat sie die Weihnachtskugeln und die verspielten Figuren und Sterne aus Gold sorgfältig ausgewählt und eingekauft. Dazu die passende Winterdeko inklusive Servietten mit Schneflocken-Muster. Wie sie freut sich wohl kaum eine andere 26-Jährige auf den Heiligabend. Es wird eine Premiere: Stephanie feiert zum ersten Mal Weihnachten.
In der Schweiz leben heute etwa 18'000 Juden. Stephanie zählt dazu. Die jüdische Bevölkerung ist sehr heterogen: Es gibt liberale und orthodoxe sowie aschkenasische und – vor allem in der Westschweiz – sephardische Juden. In manchen jüdischen Familien ist es Gang und Gäbe, Weihnachten zu feiern – als Fest der Liebe oder aus Konsumgründen. Aber nicht bei Stephanie: Sie stammt zwar nicht aus einem orthodoxen Milieu und ist bestens integriert, doch Weihnachten war in ihrem Elternhaus ein Tabu.
Bisher war die Zürcherin zwar auch im Dezember in Feststimmung, jedoch jeweils einige Tage vor Weihnachten. Dann, wenn die Juden Chanukka feiern, das achttägige Lichterfest. Sie zelebrieren ihr wichtigstes Fest im Jahr ähnlich wie die Christen: Mit üppigen Abendessen im Kreise der Familie und Geschenken für die Kinder. Jede jüdische Familie besitzt ausserdem einen achtarmigen Chanukka-Leuchter. Jeden Tag zünden sie darauf eine Kerze mehr an, bis am Ende alle brennen.
Der Heiligabend und der 25. Dezember sind für die Juden hingegen Tage wie alle andere.
Trotz Kerzenlicht und Bescherung an Chanukka: Stephanie sehnte sich nach Weihnachten: «Ich besuchte eine öffentliche Schule und alle meine Klassenkameraden hatten einen riesigen Tannenbaum, sangen Weihnachtslieder. Das wollte ich auch.» Doch ihr Vater wehrte sich dagegen: Zwar durfte sie all paar Jahre einen Mini-Tannenbaum aufstellen, doch nur auf der Terrasse: «Im Haus war er nicht erlaubt. Ein Weihnachtsbaum, das sei zu christlich, fand er. Das kann ich einerseits verstehen aber es war schon frustrierend.»
Deshalb habe sie ab und zu einer Freundin geholfen, ihren Christbaum zu dekorieren. «Sie wusste, wie viel Freude mir das bereitete und lud mich ein. Aber es war halt dann doch nicht dasselbe, wie bei mir zu Hause zu feiern.»
Weihnachten habe nichts mit ihrer Geschichte, ihrer Herkunft zu tun, sagte ihr ihr Vater jeweils. Stephanie: «Das ist mir auch klar aber ich habe meinem Glauben ja nicht den Rücken gekehrt.» Sie möge Weihnachten wegen der Stimmung, den leuchtenden Strassen und Häusern. «Das macht die dunklen Wintermonate fröhlicher.»
Heute wohnt Stephanie nicht mehr bei ihren Eltern, sondern lebt mit ihrem Partner, einem Christen. Sie holt nun all das nach, was sie über die Jahre hinweg nicht tun konnte – Baum, Lieder und Festmahl. «Bereits seit Anfang Dezember bin ich ganz aufgeregt.» Ihr Vater habe sich nun auch langsam mit der Idee angefreundet, dass seine Tochter dieses Jahr Weihnachten feiern wird. Dazu hat wohl auch der besondere Christbaumspitz beigetragen: ein Davidstern. (kün)