Schweiz
Gesellschaft & Politik

Organspende: Alain Berset zur Widerspruchlösung

«Niemand darf gegen seinen Willen zum Organspender werden»: Berset zur Widerspruchlösung

22.02.2022, 13:2630.03.2022, 12:35
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Wer nach seinem Tod keine Organe spenden möchte, soll dies künftig explizit festhalten müssen. Angehörige sollen aber eine Organspende ablehnen können. Bundesrat und Parlament sehen in der erweiterten Widerspruchslösung die Chance, die Spendequote zu erhöhen.

Bundesrat Alain Berset, rechts, und Anne Levy, Direktorin Bundesamt fuer Gesundheit BAG, aeussern sich an einer Medienkonferenz ueber die Aenderung des Transplantationsgesetzes, am Dienstag, 22. Febru ...
Innenminister Alain Berset und BAG-Direktorin Anne Lévy heute Morgen in Bern. Bild: keystone

Gesundheitsminister Alain Berset eröffnete am Dienstag den Abstimmungskampf zur Vorlage, die am 15. Mai an die Urne kommt. Die Änderung des Transplantationsgesetzes sei «keine Revolution», sagte er vor den Medien in Bern. Jedoch erhöhe die erweiterte Widerspruchslösung die Chancen für kranke Personen, ein gesundes Organ zu erhalten.

Heute ist die Spendequote in der Schweiz tief. Gemäss Zahlen des Bundes erhielten im vergangenen Jahr rund 450 Personen ein Organ. Drei Mal so viele Menschen warten Monate bis Jahre auf eine Transplantation.

Angehörige haben Mitbestimmungsrecht

Die Warteliste soll in Zukunft kürzer werden. Deshalb hat das Parlament im vergangenen Herbst einen Paradigmenwechsel beschlossen – weg von der heute geltenden erweiterten Zustimmungslösung. Diese besagt, dass für eine Organentnahme nur verstorbene Personen infrage kommen, die zu Lebzeiten einer Spende zugestimmt haben. Liegt keine Willensäusserung vor, müssen die Angehörigen entscheiden.

Künftig soll davon ausgegangen werden, dass die Person im Falle ihres Ablebens mit der Entnahme von Organen einverstanden ist. Wenn sich kein dokumentierter Wille findet, werden wie bisher die Angehörigen befragt. Sie könnten einer Entnahme von Organen widersprechen, wenn dies dem mutmasslichen Willen der verstorbenen Person entspricht. Wenn es weder einen geäusserten Willen gibt noch Angehörige, die sich dazu äussern können, ist eine Entnahme der Organe nicht möglich.

Organe spenden können weiterhin nur Personen, die im Spital einen Hirntod infolge Hirnschädigung oder Herz-Kreislauf-Stillstand erleiden. Verstirbt jemand ausserhalb des Spitals, ist eine Organspende nicht möglich.

Wenige kritische Stimmen im Parlament

Der Wechsel von der Zustimmungs- zur Widerspruchslösung sei ein europäischer Trend, sagte Berset. Die Änderung sei eine konkrete Antwort auf den Organmangel respektive auf die Tatsache, dass zu wenig Menschen sich zu Lebzeiten dazu äusserten. Gemäss Umfragen wären nämlich viele Menschen bereit, ein Organ zu spenden, äussern diesen Willen aber nie.

Die kritischen Stimmen zum Paradigmenwechsel waren im Parlament zu hören, jedoch klar in der Minderheit. Ein überparteiliches Komitee ergriff in der Folge das Referendum. Die Änderung komme einer Pflicht zur Organspende sehr nahe, argumentieren die Gegner. Es sei ein Eingriff in die liberalen Werte des Staats, wenn die Rechte zunächst eingefordert werden müssten. Auch der Druck auf die Angehörigen werde massiv erhöht.

Das neue Vorgehen sichere die Einbeziehung der Angehörigen und entlaste sie in einer schwierigen Situation, kontert Berset. Die erweiterte Widerspruchslösung lasse die Freiheit, sich bewusst dafür zu entscheiden, aber sich auch nicht damit befassen zu müssen. «Niemand darf gegen seinen Willen zum Organspender werden.»

Register wird neu aufgesetzt

Um den Willen einfach, sicher und datenschutzkonform festzuhalten, wird der Bund ein neues Register schaffen. Darin kann sich jede Person eintragen, wenn sie eine Organspende nach dem Tod ablehnt. Es ist aber auch möglich, die Zustimmung festzuhalten oder die Zustimmung auf bestimmte Organe einzuschränken. Der Eintrag kann jederzeit geändert werden.

Dass verschiedene Gesundheitsregister in der jüngeren Vergangenheit für Unmut gesorgt haben, beunruhigt Berset nicht. In keinem der Fälle sei die Überwachung durch den Bund erfolgt, in keinem der Fälle hätten sich die Betreiber der Register an die Datenschutzgrundsätze des Bundes halten müssen. «Das wird hier anders sein.»

Laut Anne Lévy, Direktorin des Bundesamts für Gesundheit (BAG), wird bei einem Ja des Stimmvolks das von Swisstransplant geführte Register neu aufgesetzt – mit einem Leistungsauftrag des Bundes und einer Überwachung durch das BAG. Zudem sei eine «grosse Informationskampagne» geplant – damit alle wüssten, dass ein Nein zur Organspende künftig festgehalten werden sollte. (sda)

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127 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Mitläufer
22.02.2022 15:07registriert November 2019
Eigentlich sollte es so sein, dass nur wer selbst Spender ist, im Notfall ein Organ erhält. Dann würden sich wahrscheinlich einige mehr als Spender registrieren. Irgendwie komisch, selbst kein Spender sein aber im Notfall will man natürlich ein Organ.
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Qahira
22.02.2022 16:50registriert April 2018
Ich werf das hier einfach mal so ein: Die Wahrscheinlichkeit, selber Organempfänger zu werden (bzw. werden zu müssen), ist rund 6 Mal höher als die Wahrscheinlichkeit, Organspender zu werden (bzw. werden zu können). Das sollte man bedenken, egal, ob man für oder gegen die Änderung ist.
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Lowend
22.02.2022 14:50registriert Februar 2014
Die Widerspruchslösung ist die sauberste Art, dieses schwierige Thema zu lösen, denn es zwingt jeden und jede, sich zu Lebzeiten mit diesem Thema zu befassen. Der Vorteil ist zusätzlich, dass diese schwere Entscheidung nicht den Angehörigen übertragen wird, denn im Fall des Todes sind die meisten überfordert, wenn der Arzt kommt und die Frage stellt, wie der Verstorbene zu diesem Thema eingestellt war.
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