Die 20-jährige Plenumsleiterin Pati Kudrnac und 250 weitere Jugendliche strecken die Arme in die Höhe und lassen ihre Köpfe kreisen. Gärtner, Künstlerinnen, Gymnasiasten, Jungpolitikerinnen. Alle sind gekommen. Barfuss. Mit Rastas. Kahlgeschoren. Aus allen Ecken der Schweiz. Romands, Tessiner, Bündner.
Mit einer Yoga-Session startet das zweite nationale Treffen der Schweizer Klimastreikenden am Samstagmorgen im Berner Zentrum Johannes. «Make love not CO2», steht auf den Stickern. Ständig blinken WhatsApp-Nachrichten aus den Klimagruppen auf den Handys und Laptops auf. Etwa mit folgenden Slogans:
Innert nur knapp drei Monaten haben die Jugendlichen aus unzähligen WhatsApp-Chats die schlagkräftigste Jugendbewegung seit den 80er-Jahren formiert. Am 2. Februar haben sie in der Schweiz 60'000 Menschen auf die Strasse gebracht. Am 15. März sollen es beim nächsten nationalen Klimastreik noch viel mehr werden.
«Wir wollen die Strukturen unserer Organisation verbessern. Und noch mehr Studierende und Familien dazu bringen, sich unserer Bewegung anzuschliessen», sagt Jann Kessler. Der Filmstudent wollte eigentlich im Sommer zum Aussteiger mutieren. Doch dann kam Greta Thunberg und schreckte eine ganze Generation auf.
In den letzten drei Wochen hat er Tag und Nacht durchgearbeitet, um das nationale Klimatreffen vorzubereiten. «Es ist eine extrem intensiv-chaotische Phase. Aber es bleibt keine Zeit zu warten. Die Gletscher schmelzen noch viel schneller als gedacht. Wir sind kurz davor, unseren Planeten zu zerstören.»
Mit ihrem Druck hat die Bewegung Basel dazu gebracht, als erste Stadt der Schweiz den Klimanotstand auszurufen. Sie hat erreicht, dass sich FDP-Präsidentin Petra Gössi plötzlich für den Klimaschutz einsetzt. Das soll nur der Anfang sein. Ihr Ziel ist, dass die Schweiz bis 2030 im Inland Netto null Treibhausgasemissionen ausstösst.
Aber wie soll es weitergehen mit der Bewegung? Was für Aktionen sollen beim nächsten Klimastreik vom 15. März steigen? Unterstützen sie jetzt Kapitalisten oder Anti-Kapitalisten? Über diese und unzählige weitere Fragen debattieren die Jugendlichen bis Sonntagabend in zig Arbeitsgruppen.
Der Knackpunkt: Die gesamte Debatte verläuft basisdemokratisch, am Schluss müssen alle Teilnehmer mit dem gefundenen Konsens einverstanden sein.
Aus Graubünden angereist sind Sina Menn (18) und Rosalina Müller (17), welche die Klimastreiks in Chur organisieren. Sie sitzen vor dem Kirchgemeindehaus an der Sonne und diskutieren. «Es besteht die Gefahr, dass sich die Demo-Aktionen abnutzen. Wir müssen als Bewegung innovativ bleiben. Wir wollen wissen, wie es weitergeht. Darum sind wir hier.»
Pati Kudrnac erhofft sich, dass man während den zwei Tagen gemeinsame Richtlinien erarbeitet, die für alle Leute der Klimastreik-Bewegung gelten. «Es könnte sein, dass jemand auf die Idee kommt, Dummheiten zu machen. Gemeinsame Guidelines sollen dies unterbinden.» Auch sie trifft fast jeden Tag Aktivisten-Gspändlis, nicht nur online. «Der Zusammenhalt ist sehr stark und wichtig für uns», sagt sie und schmunzelt. Sie schiebt nach, dass Plenumsleiter Jann Kessler übrigens ihr Freund sei.
Es gibt aber auch Spannungen in der Klimastreik-Bewegung. Junge Grüne zanken sich vor dem Gebäude mit Vertretern der Revolutionären Jugend, welche Plakate an den Türen aufgehängt haben. Dies passt nicht allen. «Es ist klar, dass es Reibungen gibt. Das ist sogar erwünscht. Die Bewegung darf nicht zu homogen werden», sagt Kessler dazu.
«Welli Zuekunft? Oisi Zuekunft!»: In der Aula peitscht derweil der erst 17-jährige Kantischüler Jonas Kampus die Menge an und erhebt seine Hände.
Er ist einer der Wortführer, der sich wie viele andere Teenager auch auf Englisch mit anderen austauscht. So verständigen sich Romands und Deutschschweizer heutzutage.
In einer Ecke des Saals steht Luzian Franzini, der umtriebige Präsident der Jungen Grünen und blickt etwas neidisch auf die Menge. «Die Jugendlichen haben extrem Biss. Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass sie in einer so kurzen Zeit eine derartige Schlagkraft entwickeln.»
Franzini wurde 2011 durch die Fukushima-Katastrophe politisiert. Er glaubt nicht, dass die Klimabewegung wie damals nur ein kurzer Hype bleibt. «Es geht ihnen um die Sache, nicht nur um die Proteste. Und sie haben ein starkes Gemeinschaftsgefühl.» Unter den Jugendlichen hat es viele Leute, die bei den Grünen aktiv sind. «Wir machen aber hier keine Werbung für unsere Partei. Es ist zentral, dass die Bewegung unabhängig bleibt», so Franzini. Im Plenum sagen später die Jugendlichen, dass bei den Wahlen keine Parteien oder Politiker im Namen der Klimastreik-Bewegung unterstützt würden. «Wir lassen uns nicht instrumentalisieren.»
Dominik Waser, ein weiterer Plenumsleiter, macht sich Gedanken um die künftige Strategie der Klimabewegung. «Wir wollen uns weiterentwickeln, nicht mehr nur eine Streik-Organisation sein.» Man denke etwa darüber nach, Sommercamps zu organisieren, eine Mischung aus Musikfestivals und Klimalager.
Der Berner Gymnasiast und Rastamann Nico Heinimann denkt, dass man eigentlich eine Woche und nicht nur zwei Tage diskutieren müsste. Aber dazu fehle natürlich die Zeit. Die 250 Jugendlichen opfern schliesslich ihr ganzes Wochenende, um mit der Klimabewegung weiter Dampf zu machen. Und sie haben noch viel vor.