Es ist immer das gleiche Muster: Wechseln Altbundesräte oder hohe Staatsdiener in die Wirtschaft oder zu Verbänden, sehen sie sich mit der Frage konfrontiert, ob daraus nicht ein Interessenkonflikt resultieren könnte. Für die jüngste Kontroverse sorgt Doris Leuthard. Die ehemalige Infrastrukturministerin, die Ende 2018 aus dem Bundesrat zurücktrat, will sich im kommenden Frühjahr in den Verwaltungsrat des Zugherstellers Stadler Rail wählen lassen.
Nicht nur Leuthard orientierte sich nach ihrem Rücktritt neu. Fernab der öffentlichen Aufmerksamkeit sicherte sich auch ihre langjährigste Beraterin einen neuen Posten. Sandra Rickenbacher gehörte als persönliche Mitarbeiterin der Bundesrätin zum innersten Machtzirkel des Infrastrukturdepartements. Sie arbeitete zwischen 2006 und 2018 für die Bundesrätin, während deren ganzer Amtszeit also.
Ihre hervorragenden Kontakte in die Bundesverwaltung und ihr Insiderwissen dürften Rickenbacher an der neuen Wirkungsstätte zugutekommen: Seit einigen Monaten arbeitet sie als Leiterin Public Affairs und Kommunikation für Swissnuclear, dem Branchenverband der Schweizer Atomkraftwerk-Betreiber. Rickenbacher gilt als versierte Kennerin der Energiepolitik, wie Bundesparlamentarier bestätigen. Die Juristin war Teil von Leuthards Stab. Dieser prägte die Eckpunkte der Energiestrategie, mit der die Schweiz schrittweise aus der Atomenergie aussteigen will.
Von Belang ist das, weil Rickenbachers neuer Arbeitgeber oft ganz andere Interessen hat als der Bund. Derzeit wehren sich die AKW-Betreiber heftig gegen die geplante Revision der Stilllegungs- und Entsorgungsfondsverordnung. Aufgegleist wurde das Geschäft pikanterweise noch von Ministerin Leuthard. In einer Stellungnahme kritisierte Swissnuclear den Bundesrat vor einigen Wochen scharf. Der Bund bürde den Betreibern «ungerechtfertigte Zusatzkosten in Milliardenhöhe auf», hiess es darin. Und weiter: Das Verbot der Rückerstattung von Überschüssen aus den Fonds für Stilllegung und Entsorgung führe «zu einer Enteignung auf dem Verordnungsweg».
Der Verband behält sich sogar vor, rechtliche Schritte gegen die per 2020 in Kraft gesetzte Verordnung einzuleiten. Die Beseitigung der radioaktiven Abfälle wird Milliarden kosten. Dafür aufkommen müssen die AKW-Betreiber, es gilt das Verursacherprinzip. Deshalb zahlen sie seit Jahren in die Fonds ein. Dereinst soll genug Geld vorhanden sein, um damit ein Endlager zu finanzieren. Die Fonds stehen unter Bundesaufsicht.
Für Swissnuclear ist die Verpflichtung Rickenbachers ein Glücksfall. Schliesslich ist die Cheflobbyistin bestens vertraut mit den Fragen, die sich rund um die Nuklearenergie, die Stilllegung der AKW und die Entsorgung der radioaktiven Abfälle stellen. Sandra Rickenbacher selbst hält ihren Wechsel für unproblematisch. Angesprochen auf potenzielle Interessenkonflikte, lässt eine Swissnuclear-Sprecherin ausrichten: «Frau Rickenbacher war als persönliche Mitarbeiterin von Frau Bundesrätin Leuthard primär für internationale Angelegenheiten zuständig.» Dazu gehörten nach ihren Angaben etwa die inhaltliche Vorbereitung von Leuthards Auslandreisen, die Kontaktpflege zu internationalen Organisationen und ausländischen Ministerien sowie verschiedene internationale Dossiers.
Was die Sprecherin verschweigt: Im Infrastrukturdepartement sass Rickenbacher im Steuerungsausschuss, der die Suche nach einem Standort für Atommüllendlager überwachte und die übergeordnete Koordination sicherstellte. In dem Gremium traf sie unter anderem auf die Direktoren des Bundesamts für Energie und der Atomaufsichtsbehörde Ensi.
Nicht nur für Rickenbacher war der Beraterjob bei einer Ministerin ein Sprungbrett. Auch die zweite persönliche Mitarbeiterin von Leuthard wusste ihr Netzwerk und ihr Vorwissen zu nutzen: Die Energiepolitik-Spezialistin Rachel Salzmann arbeitet heute für die Credit Suisse, wie die Redaktion CH Media schon früher publik machte. Dort ist sie Direktorin in der Energiewirtschaft-Sparte. Salzmann berät die Bank in politischen und regulatorischen Fragen.
Ebenfalls die Seiten gewechselt hat Yves Weidmann. Er fungierte bis zum Abgang von FDP-Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann Ende 2018 als dessen persönlicher Mitarbeiter. Nun sitzt er in der Geschäftsleitung des Pharmaverbandes Interpharma und leitet den Bereich Politische Beziehungen. Einen anderen Weg schlug Damien Cottier ein: Nach seiner Zeit als persönlicher Mitarbeiter von Didier Burkhalter, FDP-Aussenminister bis 2014, konzentrierte er sich auf seine eigene politische Karriere im Freisinn. Soeben schaffte er die Wahl in den Nationalrat.
Im Dunstkreis des Bundesrats Sie gehören zum innersten Machtzirkel: Jeder Bundesrätin und jedem Bundesrat stehen von Amtes wegen zwei persönliche Mitarbeiter zu. Die «PMs», wie sie in Bundesbern meist genannt werden, bilden den persönlichen Stab – man könnte auch sagen: eine Art «Schattenkabinett» – eines Magistraten.
Ihr Aufgabengebiet kann sich je nach Departementschef erheblich unterscheiden. Mal bereiten sie politische Geschäfte vor, analysieren Stimmungslagen oder verfassen Grundlagenpapiere, mal schreiben sie Reden, coachen die Bundesräte vor Auftritten oder pflegen den Kontakt zu Parteien und Medien. Die persönlichen Mitarbeiter wirken losgelöst von den üblichen Hierarchien der Departemente. Verpflichtet sind sie nur ihrem Chef, dem sie oft keinen Schritt von der Seite weichen.
Ihr Arbeitspensum ist hoch, die Jahressaläre ihrer Lohnklassen belaufen sich auf 180 000 bis 210 000 Franken. «Der Job im Dunstkreis eines Bundesrats ist der wohl exklusivste und sonderbarste Beruf und die steilste Rampe nach weit oben, gewissermassen ein Katapult», schrieb der Politpublizist Urs-Paul Engeler einmal. Tatsächlich machen viele einstige «PMs» Karriere in der Privatwirtschaft, bei den Behörden oder im diplomatischen Corps. (sva) (aargauerzeitung.ch)
Das ist Doris Leuthard, das ist CVP. Immer das Fähnchen in den Wind halten. Immer dort sein, wo die Macht und das Geld sind.
* https://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/Leuthard-blamiert-sich-schwer/story/10921336