Sie treten mit anderen Fachorganisationen und Jugendverbänden gegen die Pädophilen-Initiative an. Warum?
Flavia Frei: Wir sind nicht gegen ein Tätigkeitsverbot für pädosexuelle Straftäter. Aber die Initiative überzeugt formal nicht. Mit ihrer absoluten Formulierung verstösst sie gegen die Verhältnismässigkeit.
Das Parlament hat ein schärferes Gesetz verabschiedet. Genügt dies, um die Kinder zu schützen?
Bei der Initiative wie beim Bundesgesetz geht es um einen besseren Schutz von Kindern vor Wiederholungstaten. Für einen besseren Schutz vor Straftaten, die vor einer Verurteilung geschehen, braucht es andere Massnahmen. Die Volksinitiative beschränkt sich auf das lebenslange Tätigkeitsverbot. Sie hindert also niemanden daran, im Internet und im privaten Umfeld Straftaten zu begehen.
Wie ist das beim neuen Bundesgesetz?
Es geht weiter als die Initiative und enthält neben einer guten Regelung des Tätigkeitsverbot auch ein Kontakt- und Rayonverbot. Das ist wichtig für den Schutz vor Wiederholungstätern im privaten Umfeld. Ausserdem tritt es bereits am 1. Januar 2015 in Kraft. Bei einer Annahme der Initiative dürfte es noch einmal mindestens zwei Jahre dauern bis zu einer definitiven Regelung.
Die Initiative ist also zu eng formuliert?
Ja, und auch unklar. Das betrifft zum Beispiel die oft erwähnte Jugendliebe. In den meisten Fällen ist ein lebenslanges Tätigkeitsverbot übertrieben und unverhältnismässig.
Die Initianten wollen Ausnahmen für solche Fälle.
Das sagen sie jetzt! Aber es gibt darunter Kreise, die Volksinitiativen gerne wortwörtlich umsetzen. Wie es am Ende herauskommt, bleibt unklar. Dabei haben wir jetzt ein klares Gesetz, warum also soll man daran herumschräubeln?
Sie kritisieren auch, die Initiative vermittle eine Scheinsicherheit.
Die Initiative und vor allem die Diskussion darüber. Sie verläuft emotional und irreführend. Es wird eine einfache Botschaft vermittelt, als ob es nach der Annahme nie mehr pädosexuelle Straftaten geben würde.
Ihre Organisation legt Wert auf Prävention. Darüber wird in der Debatte kaum gesprochen.
Das Bewusstsein dafür ist viel zu schwach. Es braucht präventive Massnahmen bei potenziellen Opfern, ihrem Umfeld und bei potenziellen Tätern. Wir sind deshalb froh, wenn man nach der Abstimmung wieder über weitere Aspekte reden kann.
Der Abstimmungskampf könnte auch einen positiven Effekt haben?
Wir versuchen ihn zu nutzen und den Stellenwert der Prävention bewusster zu machen. Aber nach einer Abstimmung wechseln die Themen schnell. Es wird sich zeigen, was wir bewirken können. Wir haben auf jeden Fall nur ein kurzes Zeitfenster.
Das neue Gesetz ist nur ein indirekter Gegenvorschlag. Ist das im Abstimmungskampf ein Problem?
Jein. Eine Mehrheit der Stimmberechtigten weiss nicht, dass es das neue Gesetz gibt. Aber es wäre schwierig gewesen, einen direkten Gegenvorschlag auszuarbeiten. Das haben die Beratungen im Parlament gezeigt. Die Materie ist kompliziert, und niemand will sich an diesem Thema die Finger verbrennen.
Wer will schon gegen eine derartige Forderung antreten.
Wer nicht für die Initiative ist, ist für die Straftäter. So einfach ist die Argumentation. Wir und andere Fachorganisationen im Kinder- und Jugendbereich haben trotzdem entschieden, uns dagegen zu positionieren, und bislang keine schlechten Erfahrungen gemacht. In Einzelfällen aber ist schlicht der Wille nicht vorhanden, sich differenziert mit dem Thema auseinanderzusetzen. Damit muss man leben.
Es ist ein emotionales Thema.
Zu Recht.
Ein Ja in der Volksabstimmung ist mehr als wahrscheinlich. Was sind die Folgen für Ihre Arbeit?
Wir wollen nicht in erster Linie die Initiative verhindern. Das wäre aussichtslos. Wir wollen das Bewusstsein schärfen für die Komplexität des Themas Pädokriminalität. Und da sind wir zuversichtlich. Unsere Arbeit läuft weiter.