Schweiz
Gesellschaft & Politik

Merci Google, dank dir haben Häftlinge die Gefängnispläne zur Flucht

Beste Sicht: die Strafanstalt Lenzburg im Aargau. 
Beste Sicht: die Strafanstalt Lenzburg im Aargau. bild: google maps 

Merci Google, dank dir sehen Häftlinge die Gefängnispläne 

Der spektakulärste Gefängnisausbruch der jüngsten Geschichte soll auch dank Google Maps geglückt sein. In der Schweiz werden die Satellitenaufnahmen von Strafanstalten trotzdem nicht unkenntlich gemacht – das sollte sich nun ändern, sagt der Präsident des Fachverbands Freiheitsentzug.
29.09.2018, 14:0230.09.2018, 07:14
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Es könnte eine Szene in einem Actionfilm sein: Dem Franzosen Redoine Faïd ist im Juli die Flucht aus dem Gefängnis in Réau bei Paris gelungen – per Helikopter. Die Aktion sorgt nun für Knatsch zwischen der französischen Regierung und Google. Denn es wird vermutet, dass Faïds Gehilfen den Coup mit Google-Maps-Satellitenaufnahmen der Justizanstalt vorbereitet haben.

«Um abzuklären, auf welcher Seite der Weg eher offen steht, oder wo man mit dem Helikopter landen kann.»
Alain Broccard, Präsident des Fachverbands Freiheitsentzug Schweiz, über Einsatzmöglichkeiten von Google Maps für potenzielle Ausbrecher 

In Frankreich müsste der US-Tech-Gigant Bilder von Hochsicherheitsgefängnissen seit Ende 2017 unkenntlich machen – nur hält er sich nicht immer an das Gesetz, wie das Nachrichtenmagazin «L'Express» berichtet. In den USA sind heikle Standorte auf Google Maps schon seit Jahren unkenntlich gemacht. Und in der Schweiz?

Hierzulande kann sich jeder Interessierte mit einem Klick ein detailliertes Bild der Gefängnisse machen. Auch die Infrastruktur zu vermessen, ist nach Belieben möglich. 

Distanz von der Wiese zum Gefängnis: 100 Meter. Ein Satellitenbild inklusive Vermessungen der Waadtländer Strafanstalt in Orbe.
Distanz von der Wiese zum Gefängnis: 100 Meter. Ein Satellitenbild inklusive Vermessungen der Waadtländer Strafanstalt in Orbe.bild: google maps 

«Das ist natürlich gar nicht toll», sagt Alain Broccard, Präsident des Fachverbands Freiheitsentzug Schweiz, auf Anfrage von watson. Die Insassen hätten zwar nicht Zugriff auf das Internet oder nur unter Aufsicht. Doch dass auf den Luftaufnahmen die baulichen Gegebenheiten der Gefängnisse zu sehen seien, könne externen Helfern beim Planen einer Flucht nützlich sein: «Um abzuklären, auf welcher Seite der Weg eher offen steht, oder wo man mit einem Helikopter landen kann.»

Ähnlicher Meinung ist Yoan Karar von der Gewerkschaft der französischen Gefängnisaufseher. Er fand in einem Radio-Interview auf «Europe 1» kürzlich deutliche Worte: 

«Ein interner Komplize ist nicht nötig, um die Flucht zu organisieren. Es reicht, einen Blick auf Google Maps zu werfen.»
Yoan Karar von der Gewerkschaft der französischen Gefängnisaufseher.

Alain Broccard plädiert nun auch für striktere Vorgaben in der Schweiz: «Die Politiker sollten das Thema aufgreifen und mit Google verhandeln.» Er weist aber darauf hin, dass auch mit einer Verpixelung nicht alle Probleme gelöst wären: «Heutzutage ist es möglich, hochaufgelöste Bilder mit einer Drohne zu schiessen. Dagegen kann man nicht viel tun.» So wäre aber der Aufwand für potenzielle Ausbrecher und ihre Gehilfen wenigstens grösser als nur ein Klick auf Google, meint Broccard.

Google Maps als Tool der Kriminellen – die Problematik war hierzulande bereits 2014 kurzzeitig auf dem Tisch. Anlass war auch damals ein spektakulärer Gefängnisausbruch: Mit AK-47-Gewehren ballerte eine Gangsterbande im Sommer 2013 auf die Wärter der Justizanstalt Orbe VD ein und befreite zwei Häftlinge. Die Aktion ging rasend schnell – auch weil sich die Männer auf dem Gelände bestens auskannten. Die Grüne Waadtländer Regierungsrätin Béatrice Métraux hatte daraufhin verlangt, darüber zu diskutieren, Internet-Satellitenaufnahmen unkenntlich zu machen.

Kapitulation vor Aufwand

Die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) nahm sich der Problematik an und suchte den Kontakt mit Google. Später zog die KKJPD ihr Anliegen aber wieder zurück. Das zuständige Komitee war zum Schluss gekommen, dass zahlreiche Unternehmen solche Satellitenbilder im Internet anböten. Unter anderem das Bundesamt für Landestopographie oder Microsoft.

Die Zahl der Bilder sei somit zu gross, um deren Verpixelung durchsetzen zu können. Diesen Standpunkt vertritt die KKJPD auch noch heute, wie Alain Hofer, Stellvertretender Generalsekretär der Konferenz, dem Newsportal «Le Matin» mitteilte. Google will «zu spezifischen Situationen» keine Stellung nehmen. 

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37 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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B-Arche
29.09.2018 14:19registriert Februar 2016
Das ist doch ein Witz.
Die Gebäude stehen da und jeder der daran vorbei läuft sieht sie. Jede 100 CHF Drohne kann diese Bilder machen und selbst wenn die Polizei die Drohne erwischt sind die Bilddaten per Mobilfunk schon längst bei denen die sie haben wollen.

Gebäude auf der Erde zu verpixeln und zu meinen dann weiss niemand mehr dass sie da sind - wieder einmal Idiotie.

Security through Obscurity funktioniert nie.
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Randen
29.09.2018 14:29registriert März 2014
Früher musste man sich den ganzen Körper mit dem Plan voll Tätowieren. Ist jetzt schon etwas einfacher.
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_stefan
29.09.2018 17:39registriert September 2015
Die hatten einen Helikopter! Eine Luftaufnahme hätten sie bestimmt auch ohne Google organisieren können.
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