Kein Kreuz an der Wand, keine Bibel auf dem Sofatisch. Dafür eine Playstation und ein Schlagzeug. Bertolfs sieht man nicht an, dass sie Freikirchler sind. Dass sie in ihrer ganz normalen 5-Zimmer-Wohnung mit enger Küche, Umschwung, Aussicht, Hühnern und einem Trampolin im Garten, in einem Mehrfamilienblock in Belp BE einen fundamental ausgelegten Glauben leben. Aber Bertolfs haben keine Mühe, «sich zu outen», wie sie sagen.
Und jetzt halten sie es auch für nötig. Weil sie die «Frömmler» sind, die nur Pflegekinder aufnehmen, um ihnen ihren Glauben überzustülpen, gegen den Willen der leiblichen Eltern, zum Missfallen der Behörden, die «keine andere Wahl» hätten. So zumindest stand es vergangene Woche im «Blick», der mit einer Geschichte über eine Pflegeplatzierung bei einer Freikirchen-Familie eine heftige Debatte auslöste.
«Die Diskussion drehte sich gar nicht um das Wohl des Kindes – vielmehr wurde ein Feldzug gegen die Freikirchler geführt», sagt Daniel Bertolf, 45, Rettungssanitäter, und sinkt in das riesige Sofa, auf dem neben seiner Frau Joëlle, den drei leiblichen Kindern Silas, Dunja und Jeruscha auch die zwei Pflegekinder locker Platz finden würden.
Doch die fünf Kinder denken nicht daran, ruhig zu sitzen. Die neunjährige Dunja ist aufgeregt, weil sie eine verletzte Maus im Treppenhaus gefunden hat, die 16-jährige Jeruscha organisiert den Einkauf für den Zmittag, das einjährige Pflegekind turnt auf Joëlle Bertolfs Schoss herum und die Zweijährige düst durchs Wohnzimmer. «Laufen, nicht Rennen!» ruft Joëlle Bertolf. Der Tisch ist bereits gedeckt.
«Eigentlich muss ich mich ja nicht rechtfertigen», sagt die dreifache Mutter. Am Hals der 40-Jährigen baumelt ein goldenes Kreuz. «Und ich würde auch nie meinen Glauben verleugnen, nur um irgendjemanden zu überzeugen, dass wir gute Pflegeeltern sind.» Trotzdem hat sie diese Woche die Debatte verfolgt, zusammen mit der ältesten Tochter die Kommentare der Artikel gelesen und bewertet. Sie kennt alle Vorwürfe. «Geld war nie die Motivation, Pflegeplätze anzubieten», sagt sie.
Die Bertolfs bieten die ganze Palette an Pflegeplätzen an: Tageweise, an Wochenenden, in den Ferien oder unter der Woche. Kontakt zu den leiblichen Eltern haben die Bertolfs nie, die Vermittlung läuft über die Behörden. «Diese wissen, dass wir in einer Freikirche sind, dass beten und Gottesdienste zu unserem Alltag gehören», sagt Daniel Bertolf. Alltag heisst: Während Daniel Bertolf unter der Woche arbeitet, kümmert sich Joëlle Bertolf um die Kinder, am Abend musiziert die Familie, vor dem Essen und Schlafengehen wird gebetet. Am Wochenende, auch wenn die Pflegekinder da sind, besuchen die Bertolfs den Gottesdienst.
«Wieso soll das alles schlecht sein für die Kinder?» fragt Daniel Bertolf. Die Freikirche biete Schutz und Zuflucht. Zuflucht, die er selbst gesucht habe, als er Mitte Zwanzig, ohne Freunde und Familie und tief in einer persönlichen Krise, mit einem Sprung vom Balkon fast sein Leben beendet hätte. Wäre da nicht in seinem Innern die Stimme Gottes aufgetaucht, die ihn runter vom Balkon, zurück in die Schule und dann, nachdem er Joëlle kennengelernt hatte, gemeinsam mit ihr zur Freikirche geführt habe.
«Klar werden die Kinder geprägt durch die Art und Weise, wie wir leben», sagt der 45-Jährige. «Die positiven Wege aufzeigen», heisst das bei den Bertolfs. Am Ende liege die Entscheidung, welcher Weg eingeschlagen werde, aber bei jedem einzelnen – von Homosexualität über Sex vor der Ehe bis zum täglichen Musizieren. «Wenn eines der Kinder nicht singen will, dann singt es halt nicht», sagt seine Frau. An den Ohrläppchen der 16-jährigen Jeruscha glitzern diamantene Kreuze.
Die Bertolfs sagen, sie wollen den Kindern nicht ihren Glauben indoktrinieren, weder den eigenen noch den Pflegekindern. Sie wollen denen helfen, die es nötig haben. «Damit unterscheidet uns eigentlich nichts von anderen Pflegeeltern», sagt Joëlle Bertolf. Ausser, dass für die Bertolfs die Hilfsbereitschaft ihrem christlichen Glauben entspringt, ihrer gelebten Nächstenliebe.
Dem Pflegetöchterchen ist es egal, woher die Hilfsbereitschaft kommt. Hauptsache sie ist da. Die Zweijährige trabt wieder vergnügt durch die Wohnung, der Kleine beginnt zu quengeln. «Laufen, nicht Rennen!» ruft Joëlle Bertolf, schickt sie spielen und legt den Jüngsten in ein kleines Kinderbettchen. Wie oft sie das noch macht, weiss sie nicht. Wenn die Behörden morgen entscheiden, dass die Geschwister keinen Familienpflegeplatz mehr brauchen, sind sie weg.
Das ist nichts wofür man sich schämen sollte.
Das gilt übrigens als Argument zu werten, gegen diese religiöse Prägung bei einer Pflegefamilie.