Die Abmachung war klar: Die Studentin bezahlt die Miete für das Zimmer, ihre Mutter die Krankenkassenprämien. Als die junge Frau die Universität abgeschlossen hat, sucht sie einen Job und eine Wohnung. Für Letzteres braucht sie einen Auszug aus dem Betreibungsregister. Es folgt der Schock: Sie hat 40 000 Franken Schulden, weil die Mutter die Krankenkassenprämien nicht oder nur teilweise beglichen hat.
Das Beispiel, das Sébastien Mercier, Geschäftsleiter der Schuldenberatung Schweiz, erzählt, ist kein Einzelfall. Jedes Jahr melden sich 70 bis 100 Jugendliche, die mit einer finanziellen Hypothek ins Erwachsenenleben starten, die ihnen die Eltern eingebrockt haben. Der Krankenkassendachverband Santésuisse geht davon aus, dass vom Phänomen nicht bezahlter Krankenkassenprämien durch Eltern deutlich mehr Jugendliche betroffen sind, als sich bei der Schuldenberatung melden.
Bis die Kinder volljährig sind oder eine Ausbildung abgeschlossen haben, sind die Eltern verpflichtet, für ihren Unterhalt zu sorgen. Gemäss Mercier haben 18-jährige Jugendliche wegen der Prämienversäumnisse ihrer Eltern in der Regel 6000 bis 15 000 Franken Schulden, bei Studenten steigt die Summe im Extremfall bis auf die genannten 40 000 Franken. «Oft verheimlichen die Eltern ihren Kindern die Betreibungen», sagt Mercier. Oft steckten sie in finanziellen Problemen. Vielfach seien sie auch schlicht überfordert, die administrativen Angelegenheiten für die Familie zu erledigen.
Ein Eintrag im Betreibungsregister hat unangenehme Konsequenzen. Die betroffenen jungen Erwachsenen können zum Beispiel nicht zu einer günstigeren Krankenkasse wechseln, solange die Schulden nicht beglichen sind. Oder sie bekunden Mühe bei der Wohnungssuche. Manchmal zerschlagen sich Berufswünsche. Mercier weiss von einem Juristen, der aufgrund der Betreibungen nicht zur Anwaltsprüfung zugelassen wurde.
Nationalrat Heinz Brand (SVP, GR) ist Präsident des Krankenkassendachverbandes Santésuisse. «Es darf nicht sein, dass Kinder bei Erreichen der Volljährigkeit für Versäumnisse ihrer Eltern aufkommen und mit schwierigen Bedingungen ins Erwachsenenalter starten müssen», sagt er. Er verlangt deshalb: Junge Erwachsene sollen künftig nicht mehr betrieben werden dürfen für nicht bezahlte Kinderprämien. Geht es nach Brand, müssen künftig dafür allein die Eltern geradestehen. In der vergangenen Wintersession hat der SVP-Nationalrat eine entsprechende Motion eingereicht, die von 19 Nationalräten von links bis rechts unterzeichnet wurde. Gemäss heute gültigem Gesetz haften die Kinder solidarisch mit den Eltern für deren lasche Zahlungsmoral.
Nationalrätin Bea Heim (SP, SO) ist Präsidentin der Schuldenberatung Schweiz. Schulden könnten Jugendlichen den Start ins Berufsleben verbauen, warnt sie. «Arbeitgeber schätzen es zum Beispiel kaum, wenn junge Erwachsene einen Haufen Schulden vor sich herschieben.» Heim unterstützt Brands Vorstoss. Im Mai 2017 hat sie eine gleichlautende Motion eingereicht, die jedoch abgeschrieben zu werden droht, weil das Parlament Vorstösse spätestens zwei Jahre nach deren Einreichung behandelt haben muss.
Der Bundesrat lehnt Heims Idee ohnehin ab. Die Problematik habe sich entschärft, weil die Kantone seit 2014 verpflichtet seien, die Prämienverbilligung direkt an die Krankenversicherer zu bezahlen, hielt er in der Antwort auf den Vorstoss fest. Zudem würden die Prämien für Kinder wegen einer Gesetzesänderung künftig sinken. Auch würden nach Erreichen der Volljährigkeit die Eltern solidarisch mit den Kindern für die Schulden haften.
Der Bundesrat verwarf ein Betreibungsverbot. «Damit könnten auch junge Erwachsene, die über genügend finanzielle Mittel verfügen, nicht belangt werden», argumentierte er. Das Bundesamt für Gesundheit habe aber die Krankenversicherer bereits darauf sensibilisiert, primär auf die Eltern zurückzugreifen.
Brand überzeugt diese Argumentation nicht, wie er in der Begründung zu seiner Motion schreibt. Etliche Kantone würden von den Krankenkassen fordern, die für «die Jugendlichen desaströse Rechtspraxis» umzusetzen.