Eine 44-jährige Frau joggte an einem Sonntagmittag mit einer Kollegin entlang eines Flusses in Bellinzona. Plötzlich tauchte ihr 53-jähriger Ex-Mann auf. Er richtete seine Pistole auf sie und drückte ab. Danach erschoss er sich selber. Die schockierte Kollegin wählte den Notruf.
Es ist einer von 25 Fällen dieses Jahres, die als Femizide bezeichnet werden. Der Begriff bedeutet: Frauen werden getötet, weil sie Frauen sind. Darum dreht sich eine politische Debatte, die von drei Aussagen geprägt wird.
Alle drei Punkte sind nicht richtig. Das Missverständnis beginnt bei der Definition des Phänomens. Die Kriminalstatistik enthält umfangreiche Daten zu häuslicher Gewalt. Dieser Begriff klingt altmodisch und suggeriert, die Gewalt finde dabei in Häusern statt und erfasse deshalb nicht das gesamte Ausmass des Problems.
Doch das ist falsch. Häusliche Gewalt ist definiert durch die Beziehung zwischen Täter und Opfer. Dazu zählen aktuelle und ehemalige Partnerschaften, Eltern-Kind- sowie Verwandtschaftsbeziehungen. Gemeint ist also Gewalt im familiären Kontext.
Die Kriminalstatistik weist aus, wie viele Tötungsdelikte in diesen Beziehungen stattfinden. Im vergangenen Jahr waren es 28. Der grösste Anteil davon geschah innerhalb von Partnerschaften.
Die Zahl der Delikte veränderte sich in den vergangenen zehn Jahren kaum. Das kann man positiv und negativ sehen. Positiv: Es findet keine Zunahme statt, wie die vermehrte Thematisierung einzelner Fälle vermuten lässt. Negativ: Es findet keine Abnahme statt, obwohl die Zahl der Tötungsdelikte in der Schweiz insgesamt rückläufig ist.
Die Statistik der Tötungsdelikte im häuslichen Bereich zeigt zudem: Es sind tatsächlich vor allem Männer, die solche Delikte begehen – aber nicht nur. Es gibt auch Frauen, die ihre Männer, Kinder oder Verwandten umbringen. Sieben von zehn Delikten werden von Tätern begangen, drei von Täterinnen. Umgekehrt ist das Verhältnis bei den Opfern: Drei Viertel sind weiblich, ein Viertel männlich.
Der Migrationshintergrund lässt sich dabei nicht ignorieren. 61 Prozent der Täter, die eine Tötung im familiären Kontext begehen, sind Ausländer – bei einem Ausländeranteil von 25 Prozent in der Schweiz. Auch viele Schweizer üben häusliche Gewalt aus. Je schwerer die Straftaten aber werden, desto stärker sind Ausländer überrepräsentiert.
Nora Markwalder ist Assistenzprofessorin für Strafrecht der Universität St.Gallen und führt mit Kolleginnen eine Datenbank mit sämtlichen Tötungsdelikten der Schweiz, die in den vergangenen zwanzig Jahren passiert sind. Sie sagt: «Aus wissenschaftlicher Sicht ist es nicht zielführend, gewisse Eigenschaften der Täter oder Opfer wie etwa den Migrationshintergrund auszublenden.» Damit würden Informationen verloren gehen, die zum Verständnis des Phänomens wichtig sein könnten. Dazu gehört auch: Viele Täter seien durch Substanzabhängigkeit und psychische Erkrankungen vorbelastet.
Dirk Baier ist Gewaltforscher an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Er sagt: «Es hilft nichts, zu sagen, dass traditionelle, patriarchale Geschlechterrollenbilder die Ursache solcher Gewalt sind, wenn wir nicht wissen, in welchen Milieus diese Bilder stärker, in welchen weniger stark anzutreffen sind.» Daher sei es wichtig, auch die Nationalität von Tätern zu betrachten.
Jugendliche aus der Türkei, dem Balkan und Sri Lanka heissen innerfamiliäre Gewalt viermal häufiger gut als Schweizer Jugendliche. Das zeigte eine Befragung, die Baier mit seinem Team durchgeführt hat. Die Herkunft prägt das Bild von Männlichkeit.
Zudem haben gemäss Baier ökonomische Faktoren einen Einfluss: Ausländer würden häufiger in prekärer Lage leben, was zu Stress und Gewalt führen könne. Er betont: «Es geht nicht um die Stigmatisierung von Ausländergruppen, sondern darum, die richtigen Gruppen mit den richtigen Massnahmen zu erreichen.»
Frank Urbaniok war Chefarzt des Psychiatrisch-Psychologischen Dienstes des Kantons Zürich und hat an einer der umfassendsten Studien über häusliche Gewalt mitgearbeitet. Unter den Tätern waren Personen aus Nordafrika, dem Balkan und der Türkei massiv überrepräsentiert. Er sagt: «Kulturelle Prägungen spielen eine Rolle. Wer das ignoriert, schwächt seine eigene Position.»
Mit der Herkunft alleine könne das Problem aber nicht erklärt werden, schliesslich würden die meisten Ausländer keine Straftaten begehen. Neben der kulturellen sei auch die persönliche Prägung entscheidend. Manche Menschen hätten schon früh in ihrer Grundpersönlichkeit gewisse Risikoprofile wie eine gesteigerte Kränkbarkeit oder eine Dominanzproblematik.
Es sei also weder ein reines Männer- noch ein reines Ausländerproblem: «Das ist typisches Schwarz-weiss-Denken. Wir sollten das Problem aber ohne ideologische Scheuklappen analysieren. Nur so können wir es lösen.»
Bemerkenswert ist ja durchaus, dass diese Zeitung den Narrativ der SP übernimmt. Hätte sie den Narrativ der SVP übernommen, würde der Titel heissen:
"Warum Ausländer ihre Frauen umbringen."
Wie heisst es so treffend am Ende des Artikels:
"Es sei also weder ein reines Männer- noch ein reines Ausländerproblem: Das ist typisches Schwarz-weiss-Denken."
Medial will man für die Bedienung von Zielgruppen halt dann doch nicht auf solches Schwarz-Weiss-Denken verzichten, sonst würde die Auflage drunter leiden...
Wünsche allen einen schönen Sonntag