«Mit 123 Stimmen gewählt ist Elisabeth Baume-Schneider», mit diesem Satz vollendete Nationalratspräsident Martin Candinas die Überraschung am Mittwoch. Die Jurassierin setzte sich im Rennen um die Nachfolge von Simonetta Sommaruga durch, Eva Herzog ging leer aus. Damit vollzog Baume-Schneider eine regelrechte Metamorphose und wurde in nur knapp 30 Tagen von der Aussenseiterin mit den Schwarznasenschafen zur Siegerin, wie diese Timeline zeigt:
Es ist der Gesundheitszustand ihres Mannes, der Simonetta Sommaruga zum Nachdenken bringt. Am 2. November verkündet sie ihren Beschluss: Auch sie wolle auf Ende Jahr vom Amt als Bundesrätin zurücktreten. Damit werden am 7. Dezember mit der Nachfolge von Ueli Maurer gleich zwei Bundesratssitze neu vergeben.
Der SP gelingt kein guter Start bei der Suche nach einer Nachfolge. Das reine Frauen-Ticket wird zum Politikum – auch parteiintern. Noch bevor er seine Kandidatur für den frei werdenden Sitz bekannt gibt, kritisiert der Zürcher SP-Nationalrat Daniel Jositsch in der Sendung «Forum» des Westschweizer Radios RTS die Vorgehensweise seiner Partei. Er wirft ihr «Diskriminierung» vor. Es beginnt ein Seilziehen um das Zweierticket der SP.
Es ist Freitag und um 11.11 Uhr beginnt die Fasnacht. Irgendwann um dieselbe Zeit sitzt eine Frau in Bern beim Coiffeur und wird zunehmend nervöser. Eine zweite Frau bringt ihr neue Kleider, hastig wird das Preisschild abgetrennt, umgezogen, geschminkt und mit einem grosszügigen Trinkgeld bezahlt. So berichtet Hauptstadt, das Berner Online-Magazin. Später am Abend flimmert die bis dahin für die meisten unbekannte Frau vom Coiffeurstuhl über tausende TV-Bildschirme: Elisabeth Baume-Schneider, die SP-Ständerätin aus dem Kanton Jura, kandidiert offiziell für den Bundesrat.
Die Fraktion entscheidet schliesslich: Für die SP kommt für den 7. Dezember nur ein Frauen-Ticket infrage. Jositsch akzeptiert das deutliche Ergebnis zähneknirschend: «Wie Sie wissen, habe ich diesen Antrag bekämpft, weil ich der Meinung war, es sollten sämtliche Kandidierenden zugelassen werden.» Eine «wilde Kandidatur» ist für ihn aber ausgeschlossen.
Damit verbleiben drei Frauen im Rennen: Die Basler Ständerätin Eva Herzog wird bereits jetzt als Favoritin gehandelt. Als ihre grösste Herausforderin geht die Berner Regierungsrätin Evi Allemann ins Rennen. Über die Jurassierin Elisabeth Baume-Schneider schreibt die sda, sie dürfte «lediglich Aussenseiter-Chancen haben».
Die Konkordanz stehe ihr im Weg; eine weitere Bundesrätin aus der lateinischen Schweiz sei kaum denkbar. Ausserdem sei ihr Engagement als Jugendliche in der revolutionären marxistischen Liga ebenfalls ein altes Laster, das ihr besonders die Unterstützung von bürgerlicher Seite her verwehre.
Baume-Schneider startet also als absolute Aussenseiterin in den Wahlkampf. Doch bereits im ersten SP-Hearing gelingt ihr der erste Coup: Während sie «mit ihrer Sprachkompetenz punktete», fiel Herausforderin Allemann eher negativ auf. Während die Medien (auch watson) der Aussenseiterin nun «Charme und Witz» attestierten, wurde Allemann als «unsicher» abgetan.
Es folgt der erste Erfolg: Im dritten Wahlgang setzt sich Baume-Schneider als zweite SP-Nominierte gegen Evi Allemann durch. SP-Fraktionspräsident Roger Nordmann (VD) sprach bereits hier von einem regelrechten «Krimi». Es ist der erste Schritt in Richtung einer ersten Bundesrätin (oder eines ersten Bundesrats) aus dem Kanton Jura.
Die Städterin Eva Herzog bleibt aber weiterhin Favoritin. Daneben positioniert sich die Politikerin aus dem Jura hingegen als Alternative vom Lande. Mehrere Parlamentarier bestätigten nach der Bundesratswahl, dass sie mit dem Schwarznasenschaf-Bild in der Blick-Homestory besonders in der bürgerlichen Ecke Sympathie sammeln konnte.
Diese Taktik zieht die neue Bundesrätin bis zum Schluss durch. Damit überzeugt sie zuerst die Bauern-Lobby, dann die SVP an ihrem Hearing. «Elisabeth Baume-Schneider ist mit Rückstand gestartet, doch jetzt holt sie mit Siebenmeilenstiefeln zu Eva Herzog auf», sagte ein einflussreicher bürgerlicher Nationalrat zu den CH-Media-Zeitungen. Der Grund? Sie verstehe als Bauerntochter die wichtigen Anliegen.
Dann folgt das grosse Interview in der NZZ. Hier positioniert sich die Bundesratskandidatin mit Voten wie Verständnis für die Klebe-Aktivisten, einer Kampfansage gegen die Erhöhung des Frauenrentenalters und einer halben Zusage zu einem EU-Beitritt deutlich links. «Zu links für bürgerliche Unterstützung», mutmassten damals mehrere Medien (auch watson).
Doch das «sympathische» Berndeutsch und die «gmögige» Art überwiegen, wie der Tages-Anzeiger aus SVP- und Bauern-internen Quellen weiss. Vier Fraktionen gaben keine Wahlempfehlung ab. Nur die GLP sagte Eva Herzog die offizielle Unterstützung zu.
Die Bundesratswahlen beginnen ohne grosse Überraschungen, Albert Rösti wird im ersten Wahlgang als Nachfolger für Ueli Maurer gewählt. Um 9.24 Uhr nimmt mit dem Beginn der SP-Wahl ein kleiner Politkrimi Fahrt auf. Um 9.43 Uhr bringt es Baume-Schneider im ersten Wahlgang auf 96, Herzog nur auf 83 Stimmen. Daniel Jositsch sitzt mit 58 Stimmen auf dem dritten Platz. Im zweiten Wahlgang holt Herzog mit 102 zu Baume-Schneiders 112 Stimmen noch etwas auf. Im dritten Wahlgang ist die Wahl der Jurassierin mit 123 Stimmen – dem exakten absoluten Mehr – besiegelt. (leo/meg)
«eine Frau in Bern beim Coiffeur», die zunehmend nervöser wird, und dann wird diese «Frau vom Coiffeurstuhl» auch noch Bundesrätin?!
Was hat dieser Coiffeurstuhl auch nur im Geringsten mit der Bundesratswahl zu tun? Würdet ihr genau gleich über «einen Mann beim Coiffeur» schreiben?
Ernsthaft?
Euer Titel sollte wohl originell sein, ist aber nur daneben!