Das Epizentrum der KESB-Kritik liegt hinter dem Zürichsee. In einem schmucken, mehrhundertjährigen Gebäude mitten in der Altstadt von Rapperswil-Jona wird in der Redaktion einer Lokalzeitung Woche für Woche gegen den «Behörden-Wahnsinn» angeschrieben. Die «Obersee Nachrichten» und deren Chef Bruno Hug gehören zu den gefürchtetsten KESB-Gegnern der Nation.
Doch jetzt könnte Hug aus seinem Thron gekippt werden. Denn die Stadt Rapperswil-Jona geht mit einer 300-seitigen Anklageschrift gegen den Chefredaktor vor. Es folgt eine Abhandlung über die wichtigsten Akteure rund um die grosse «KESB-Klage».
Die «Obersee Nachrichten», kurz ON, ist eine Gratiszeitung, die rund um den Obersee in den Kantonen St. Gallen und Schwyz in den Bezirken Gaster, See, March und Höfe erscheint. Sie wird wöchentlich verteilt und erreicht laut dem Forschungsinstitut Wemf 88'000 Leser.
Aufsehen erregt hat die ON mit der regelmässigen Berichterstattungen über die regionale Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (KESB). In den letzten Jahren hat die Zeitung mehrere KESB-Fälle prominent thematisiert. Immer wieder sorgten diese Fälle danach auch in nationalen Zeitungen für Schlagzeilen.
Inzwischen hat die ON den Ruf, gerne gegen Behörden zu schiessen. In ihren Verteilgebieten geniesst die Gratiszeitung viel Ansehen. Als im Kanton Schwyz im Frühling dieses Jahres über eine Anti-KESB-Initiative von SVP-Nationalrat Pirmin Schwander abgestimmt wurde, sprachen sich jene Gemeinden, die zum Einzugsgebiet der ON gehören, deutlich für eine Abschaffung der KESB aus. Weil aber im restlichen Kantonsgebiet die Zustimmung für die Initiative klein war, wurde sie zuletzt abgelehnt.
Verleger, Geschäftsführer und Chefredaktor der ON ist Bruno Hug – ein Tausendsassa aus Rapperswil-Jona. Der 63-Jährige hat sich vom Stiefsohn eines Bauern zum Multimillionär hochgearbeitet.
Als gelernter Tiefbauzeichner und Ingenieur widmete er sich ab 1980 dem Verlagsgeschäft und gründete die «Uster Nachrichten», die «Obersee Nachrichten» und später die Medienzeitschrift «persönlich». Inzwischen hat Hug alle Verlagsbeteiligungen zwar verkauft, doch nach wie vor trägt die ON klar Hugs Handschrift.
National bekannt wurde Hug, als er in den 1990er-Jahren Präsident und später Verwaltungsrat des Schlittschuhclubs Rapperswil-Jona wird. Als er dieses Jahr um das Rapperswiler Stadtpräsidium mitbuhlte, war er in der Stadt kein Unbekannter. Seine Kandidatur kam nicht überraschend. Schon lange mischte Hug in der regionalen Politik mit. Nach dem ersten Wahlgang lag er deutlich in Führung, zog daraufhin aber seine Kandidatur zugunsten eines Anderen zurück.
Für Kontroversen sorgte Hug mit seiner spitzen Berichterstattung über die KESB Linth. In Medienberichten wurde Hug deswegen als der «Behörden-Schreck» oder der «Aufmischler» bezeichnet. Seit Bestehen der KESB ab dem Jahr 2013 (vorher gab es die Vormundschaftsbehörden) waren diese dem Chefredaktor Hug ein Dorn im Auge. Mit grossem Eifer deckte er auf, wo die Behörde seinen Einschätzungen nach Grenzen überschritt.
Für besonders viel Aufmerksamkeit sorgte der Fall um «Marco», den die «Obersee Nachrichten» zu einem zweiten «Fall Carlos» zu machen versuchte. Denn die KESB Linth schickte Marco auf ein Therapieschiff in die Karibik. Dort musste der Jugendliche lernen anzupacken.
Fast wöchentlich erschienen neue Artikel über Marco und seine Mutter. Einzig aus der Perspektive der Betroffenen liess Bruno Hug die Geschichten emotional aufgeladen erzählen. Obwohl das Sondersetting für Marco von zwei Gerichten gestützt wurde, schrieb Hug weiter gegen diese – in seinen Augen – ungeheure Unverhältnismssigkeit der KESB an.
Ebenfalls weitum bekannt ist der Fall von «Samuel». Die KESB Linth trennte den heute zehnjährige Bub von seiner Mutter und platzierte ihn bei einer Pflegefamilie. Dies, weil die Mutter sich weigerte, den Sohn an den Wochenenden dessen Vater zu überlassen. Sie behauptete, der Vater würde den Jungen sexuell missbrauchen.
Die KESB sah dies anders und liess den Bub von der Polizei abholen und fremdplatzieren. Bruno Hug schrieb in Dutzenden Artikeln über den Fall. Stets nur aus der Perspektive der Mutter und deren Unterstützer.
In einem weiteren Fall, der dank den «Obersee Nachrichten» zu nationaler Bekanntheit gelangte, ging es um einen Erben, der laut Bruno Hug von der KESB übergangen und um viel Geld gebracht worden sei.
An Hugs Berichterstattungen wurden besonders dessen umstrittene Methoden kritisiert. Seine Artikel seien nicht ausgeglichen, die Wahrheit würde er sich im Notfall auch gerne mal zurechtbiegen. Er greife ein, helfe mit Geld aus, lasse eine Wohnung aufräumen, bevor sie fotografiert werde, missachte den Persönlichkeitsschutz, lauere Kindern auf dem Schulweg auf – Hug kenne keinen Skrupel, wenn es darum gehe, seine Mission, den Sturz der KESB, zu erfüllen.
Lange blieb es still um Walter Grob, Präsident der KESB Linth. In Interviews wiederholte er mantraartig, dass er sich zu den Fällen nicht äussern dürfe. Er liess über sich ergehen, dass Bruno Hug mehrere Jahre, Woche für Woche, aggressiv gegen seine Person polemisierte.
Bis es ihm im Frühling vor einem Jahr den Deckel lupfte. Gemeinsam mit der Stadt Rapperswil-Jona, welche die Trägergemeinde der KESB Linth ist, reichte Walter Grob Zivilklage gegen die «Obersee Nachrichten» ein. Die Stadt sei durch die Berichte von Bruno Hug verunglimpft worden und die Kampagne gegen die KESB und dessen Präsidenten persönlichkeitsverletzend.
Zudem reichte Grob Strafanzeige gegen verschiedene Personen ein, die ihn auf den sozialen Medien oder auf der Homepage der «Obersee Nachrichten» beschimpft hatten.
Verurteilt wegen übler Nachrede wurde Bruno Hug bereits im Januar dieses Jahres. Die Staatsanwaltschaft Uznach hatte Anklage erhoben, nachdem in den «Obersee Nachrichten» ein Bericht über einen Treuhänder erschienen ist, der im Auftrag der KESB erpresst und geraubt haben soll.
Am Dienstag und Mittwoch muss sich nun das Kreisgericht Werdenberg-Sarganserland um die Klage der Stadt Rapperswil-Jona gegen Bruno Hug kümmern. Die Klageschrift umfasst mehrere hundert Seiten und dokumentiert 300 Persönlichkeitsverletzungen, welche die «Obersee Nachrichten» publiziert haben soll.
Vor Gericht verlangen die Kläger, dass die «Obersee Nachrichten» die betreffenden Aussagen aus dem Online-Archiv und von der Facebook-Seite löschen muss. Weiter soll die Gratiszeitung die durch persönlichkeitsverletzende Publikationen erzielten Gewinne herausgeben und Walter Grob eine Genugtuungssumme in der Höhe von 25'000 Franken zahlen.
Die Urteilsverkündung wird am heutigen Mittwoch erwartet.