Die Tatsache ist diese: Viele Ausländer in der Schweiz werden mit Vorurteilen oder Diskriminierung konfrontiert. Die Wissenschaft hat dazu bereits unzählige Untersuchungen angestellt, zuletzt auch in einer gross angelegten Studie des Nationalen Forschungsprojekts «nccr on the move» vor zwei Jahren. Von 6000 befragten Einwanderern in der Schweiz gab jeder Dritte an, schon einmal diskriminiert worden zu sein.
Dasselbe Forschungsprojekt ging nun einen Schritt weiter und stellte fest: Die Diskriminierung macht auch vor dem Schweizer Pass nicht Halt. Neue Untersuchungen zeigen, dass die Ungleichbehandlung auch dann besteht, wenn eine Person hier geboren und aufgewachsen ist und das Schweizer Bürgerrecht besitzt. Solange Name und Hautfarbe auf ausländische Wurzeln schliessen, besteht die Diskriminierung weiter. Selbst wenn der Migrationshintergrund mehrere Generationen zurück liegt.
Die am Forschungsprojekt beteiligten Universitäten fokussierten in ihren Untersuchungen auf Benachteiligungen auf dem Arbeitsmarkt, bei der Wohnungssuche und bei Wahlen.
Bei Wahlen haben Schweizer Kandidatinnen und Kandidaten mit einem Migrationshintergrund Nachteile gegenüber solchen mit Schweizer Familien. Zu diesem Schluss kam eine Forschergruppe der Universität Luzern. Untersucht wurden die Stimmzettel der Nationalratswahlen 2015 aus über tausend Gemeinden. Die Ergebnisse zeigten, dass Politiker mit ausländisch klingenden Namen besonders häufig von den Listen gestrichen wurden. Am meisten betroffen waren Kandidierende mit einem Familiennamen, der auf eine Herkunft aus dem Balkanraum, der Türkei oder einem arabischen Staat schliessen lässt.
Der an der Studie beteiligte Politologe Nenad Stojanović spricht in diesem Zusammenhang von einer Wahlstrafe für Kandidierende mit Migrationshintergrund. Besonders auf den Listen von rechten und mitte-rechts Parteien würden ausländisch klingende Namen am ehesten durchgestrichen.
Das schlägt sich dann auch auf das Wahlresultat aus. Bei den letzten Wahlen vor vier Jahren hatten gerade einmal sechs Prozent aller gewählten Kandidaten einen ausländischen Namen. Damit sind Schweizer mit Migrationshintergrund im nationalen Parlament deutlich untervertreten. Gemessen an der Gesamtbevölkerung machen sie 35 Prozent aus.
Stojanović fasst zusammen: «Das Schweizer Wahlsystem erlaubt es den Wählern, die Namen von unerwünschten Kandidierenden von ihrer Liste zu streichen. Dies passiert oft zu Lasten von Personen mit Migrationshintergrund.»
Eine weitere Studie des Nationalen Forschungsprojekts zeigt, dass auch bei der Jobsuche die Chancen von Bewerber und Bewerberinnen signifikant vom Herkunftsland der Eltern abhängen. Die Studienautoren halten fest: «Schweizer, bei denen ersichtlich ist, dass sie Nachkommen von Zugewanderten sind, müssen bei gleichwertiger Qualifikation durchschnittlich 30 Prozent mehr Bewerbungen einreichen, bis sie eine Einladung zu einem Vorstellungsgespräch erhalten.»
Je nach Herkunftsland der Eltern fällt die Diskriminierung unterschiedlich stark aus. Bei Nachkommen von Kosovaren ist sie grösser als bei Nachkommen von Türken. Auch Schweizer Bewerber mit Eltern aus der EU werden diskriminiert. So müssen beispielsweise Nachfahren von Deutschen für einen Job als Verkäufer 70 Prozent mehr Bewerbungen einreichen. In höher qualifizierten Berufen hingegen werden sie gegenüber Bewerbern mit Schweizer Eltern sogar bevorzugt.
Erstmals wurde auch untersucht, inwiefern dunkelhäutige Schweizerinnen und Schweizer auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert werden. Auch hier zeigte sich, dass sie wie Schweizer mit kosovarischer Herkunft ungleichmässig mehr Bewerbungen einreichen müssen, bis sie zu einem Gespräch eingeladen werden.
Für Rosita Fibbi von der Universität Neuenburg zeigen diese Ergebnisse eine wachsende Problematik auf: «In Europa und auch in der Schweiz erreichen immer mehr Kinder von Einwanderern das Erwachsenenalter. Auf dem Arbeitsmarkt sind sie mit Diskriminierung konfrontiert, die sich nicht mit Defiziten begründen lassen, wie das vielleicht noch bei ihren Eltern der Fall war.»
Als weiteres Forschungsfeld widmeten sich die Wissenschaftler der Benachteiligung bei der Wohnungssuche. In einem Zeitraum von einem halben Jahr verschickten sie 11'000 Anfragen auf reale Wohnungsanzeigen und werteten aus, welche Bewerber wie oft zu einer Wohnungsbesichtigung eingeladen wurden. Besonders wenige Antworten erhielten auch hier Schweizer Bürger mit kosovarischem oder türkischem Hintergrund.
Zusammenfassend schreiben die Studienautoren: «Das ist eine ethnische Diskriminierung seitens der Vermieter in der Schweiz. Da die fiktiven Bewerberinnen und Bewerber identische Eigenschaften aufweisen, entfallen alternative Erklärungen.»
«Das Ausmass und die Verbreitung ethnischer Diskriminierung in der Schweiz wird noch immer unterschätzt und banalisiert», sagt Nicole Wichmann, Geschäftsführerin des Forschungsprojekts «nccr – on the move». Ausgrenzung zu vermindern sei eine Herausforderung für unsere ganze Gesellschaft. «Stereotypen, soziale Bilder und Vorurteile gegenüber bestimmten Bevölkerungsgruppen sind meist tief in der Gesellschaft verankert und beeinflussen Entscheidungsprozesse unbewusst», so Wichmann.
Die Sensibilisierung von Vermietern und Arbeitgeberinnen in Bezug auf diskriminierende Entscheide sei daher eine wichtige Massnahme, um Benachteiligung und Ausschluss von Angehörigen sichtbarer Minderheiten zu reduzieren.
Sensibilisierung alleine helfe jedoch nicht, die Menschen in der Schweiz vor Diskriminierung zu schützen. «Aus diesem Grund hat beispielsweise die Justizdirektion des Kantons Zürich anonyme Bewerbungsverfahren eingeführt. Daneben liesse sich auch der rechtliche Rahmen zum Schutz von Minderheiten ausbauen», sagt Wichmann.
Eva Zschirnt, Soziologin und Mitverfasserin der Studien für «nccr – on the move» sagt: «Die Schweiz ist eines der wenigen Länder, das kein Anti-Diskriminierungsgesetz hat. Betroffene haben darum kaum Chancen sich in Diskriminierungsfällen zu wehren.» Deshalb sei es wenig erstaunlich, dass die Schweiz im Länderindex, der den Schutz vor Diskriminierung von Migranten bewertet (Migration Policy Index), auf dem viertletzten von 38 Plätzen landet – nur die Türkei, Japan und Island würden noch schlechter abschneiden.