Über Europa lässt es sich trefflich streiten – das finden offenbar auch die «Arena»-Macher. Zum Anlass für ihre Themenwahl von dieser Woche nahmen sie die Veröffentlichung eines so genannten «Weissbuchs» der liberalen, wirtschaftsnahen Denkfabrik Avenir Suisse. Der Think Tank stellte darin verschiedene Zukunftsszenarien vor.
Während sich die Schweiz im einen Szenario völlig abschottet, tritt sie in einem anderen der EU bei. Grund genug für die Sendungsmacher rund um den ehemaligen Brüssel-Korrespondenten Jonas Projer, einmal mehr aufs Europa-Thema zu setzen. Schliesslich ist der EU-Beitritt in der Schweizer Politik ein Reizwort sondergleichen, das hitzige Debatten garantiert.
An Projers Stelle machte am Freitagabend «Tagesschau»-Moderator Mario Grossniklaus den «Arena»-Dompteur. Avenir Suisse-Direktor Peter Grünenfelder gehörte das Eröffnungsvotum. An seiner Seite am Rande des Rings stand Werner Gartenmann, der Geschäftsführer der EU-Abwehrorganisation Auns.
Im Ring standen sich mit Eric Nussbaumber (SP), Elisabeth Schneider-Schneiter (CVP) und Philipp Müller (FDP) Schwergewichte der aussenpolitischen Komissionen (APK) des Parlaments gegenüber – die SVP schickte Parteipräsident Albert Rösti in die Manege. Im Publikum sass Lukas Wegmüller von der Pro-EU-Bewegung Nebs.
Am wenigsten Harmonie herrschte zwischen SP-Mann Nussbaumer und SVP-Präsident Rösti. Die beiden gerieten sich regelmässig in die Haare und sorgten für einen hohen Lautstärkepegel. Mario Grossniklaus, der im Vergleich zu Jonas Projer einen etwas stärker antiautoritären Moderationsstil pflegt, hatte manchmal Mühe, die Diskussion in geordnete Bahnen zu lenken.
Etwas mehr Harmonie herrschte zwischen Rösti und seinem Nachbarn Philipp Müller, auch wenn sie sich inhaltlich selten einig waren. Müller bezeichnete die Idee hinter der Masseneinwanderungsinitiative als «chübelblöd», was Rösti ein Schmunzeln entlockte. «Es isch e Froid, oi zuezlose», kommentierte Grossniklaus die kurzweilige Bromance.
FDP-Ständerat Müller holte sich immer wieder mit einfachen, bildhaften Beispielen die Aufmerksamkeit des Publikums. Ganz zum Ende der Sendung etwa untermalte er die Notwendigkeit eines Rahmenabkommens mit der EU mit einem Auto: «Wir fahren mit unserem Auto, füllen Benzin ein, fahren und fahren und fahren. Wir gehen nie in den Service. Irgendwann fährt die Kiste nicht mehr. Aus, fertig, Ende.»
Gegen die lautstarken Tenöre musste sich CVP-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter, Präsidentin der APK des Nationalrats, immer wieder zur Wehr setzen. Energisch wies sie Moderator Grossniklaus darauf hin, dass ihr das Wort zustehe. Dann gelangen ihr jeweils überlegte Voten, unterlegt mit feinen Spitzen gegen die «nicht mehrheifsfähigen Vorstellungen» der Ratskollegen Rösti und Nussbaumer. Glaubhaft war etwa, wie sie die EU als Friedensprojekt und Garant der Stabilität auf dem Kontinent verteidigte und danach ihre eigenen Argumente gegen einen Beitritt zum jetzigen Zeitpunkt darlegte.
Inhaltlich bot die Sendung wenig Überraschendes. Sie begann mit einem grossem Zeithorizont: «Wo steht die Schweiz 2030?» Diese Frage richtete Grossniklaus zum Auftakt an Avenir Suisse-Direktor Grünenfelder. Dieser beschrieb die Schweiz als «gespaltene Nation», die sich in der Europapolitik von «Denkverboten» einschränken lässt. Man könne die Zukunft nicht voraussagen, aber müsse sich doch auf alle Eventualitäten vorbereiten.
CVP-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter zeigte sich unzufrieden über das Weissbuch von Avenir Suisse, das die Beitrittsfrage wieder in die Schlagzeilen gebracht hat. «Wir diskutieren eigentlich viel zu viel.» Das leidige Thema hätte man 2016 mit dem Rückzug des 1992 vom Bundesrat in Brüssel deponierten EU-Beitrittsgesuch doch erledigt. Die von Avenir Suisse ausgelöste Diskussion werde nun von der SVP wieder instrumentalisiert: «Jetzt werft ihr wieder allen vor, für den EU-Beitritt zu sein».
Angetan von der Lektüre zeigte sich der frühere FDP-Chef Philipp Müller. Das Isolationsszenario – «ich nenne es Ballenberg» – zeige schön auf, wie untauglich für die Zukunft die Abschottung sei. Als Liberaler komme das für ihn nicht in Frage. Der «Königsweg» für die Schweiz bleibe der bilaterale Weg, der in Volk und Parlament eine Mehrheit habe. SP-Nationalrat Eric Nussbaumer wunderte sich, dass er als Sozialdemokrat die wirtschaftsliberale Avenir Suisse loben müsse, aber «das Buch ist super».
Naturgemäss keine Freude am Weissbuch hatte SVP-Präsident Albert Rösti. Zunächst einmal fiel ihm im wegen der Diskussion über die so genannte Kündigungsinitiative der SVP die Hauptrolle zu. Von allen Seiten wurde Rösti dafür angegriffen. Deren primäres Ziel sei gar nicht die Kündigung der Personenfreizügigkeit (PFZ), sondern eine autonome Steuerung der Zuwanderung. Das Risiko einer automatischen Kündigung der bilateralen Verträge bei einem Ja zur Initiative redete Rösti klein: «Wir wollen die PFZ nicht beseitigen, wir wollen Neuverhandlungen.»
Das kam bei den anderen Teilnehmern schlecht an. Die PFZ sei das pièce de résistance der Bilateralen, sagte Schneider-Schneiter:«Entweder lest ihr eure Initiativen nicht oder ihr streut dem Volk bewusst Sand in die Augen.» Nicht viel mehr Einigkeit gab es auch bei den anderen Themen, dem EU-Beitritt und dem Rahmenabkommen. Die rezyklierten Einspieler-Videos aus früheren Arena-Sendungen zeigten, dass Schweizer Politiker zu diesem Thema bereits stundenlang diskutiert haben – ohne dass dabei Überraschendes herauskommt. Das war heute nicht anders.
Am Bemerkenswertesten war der Austausch zwischen Lukas Wegmüller, Generalsekretär der EU-Befürworter-Organisation Nebs und SVP-Chef Albert Rösti. Wegmüller argumentierte, ein EU-Beitritt würde der Schweiz mehr Einflussmöglichkeiten bieten. Nur so könne sie die Gesetzgebung mitbestimmen, die sie heute einfach übernehmen müsse. Ausserdem seien Föderalismus und direkte Demokratie auch bei einem EU-Beitritt weiterhin möglich.
Diese Aussage brachte Rösti auf die Palme: «Das ist ein solcher Blödsinn!» Diese deutlichen Worte brachten wiederum SP-Nationalrat Eric Nussbaumer ausser Fassung: Wegmüller habe seinen Standpunkt sorgfältig ausgeführt. Rösti solle anständig bleiben. Man müsse andere Ideen respektieren und dürfe die nicht einfach als Blödsinn abtun: «Das ist doch nicht souverän für einen Parteipräsidenten.»
Das Schlusswort gehörte dann wieder Avenir Suisse-Direktor Peter Grünenfelder. Er plädierte ganz im Slang der globalisierten Wirtschaft für ein Rahmenabkommen. Die Beziehungen zwischen der Schweiz und der EU entwickelten sich dynamisch. Dafür müssten die Rahmenbedingungen angepasst werden. Das sei bei einem Unternehmen nicht anders. Passe es die Produktpalette nicht an, sei es rasch «out of the market». Um der Schweiz dieses Schicksal zu ersparen, helfe das Rahmenabkommen die verändernden Beziehung zur EU zu «framen».
Lediglich eins war klar am Ende dieser Arena: Das war nicht die letzte Diskussion über die Europapolitik. Und Anglizismen helfen kaum, beim Arena-Publikum für Verständnis zu weibeln. Da kam Philipp Müllers Auto-Vergleich bedeutend besser an. Denn wann eine «Kiste» in den Service muss, kann sich jeder vorstellen. Wie eine Firma «out of the market» gerät, weniger.