Für 4149 Menschen war allein im Juli an der Schweizer Grenze kein Durchkommen. Sie wurden von Grenzwächterinnen und Grenzwächtern aufgehalten und zurückgewiesen. Im Tessin wurden im Juli 3560 Menschen nach Italien zurückgeschickt. Am Abend gab der Kanton die Eröffnung eines besonderen Zentrums bekannt, in dem Wegzuweisende für eine Nacht aufgenommen werden.
Seit Anfang Jahr waren es 8298 Personen, die an den Landesgrenzen zurückgehalten wurden, wie aus am Mittwoch vom Grenzwachtkorps veröffentlichten Zahlen hervorgeht. Im gleichen Zeitraum des vergangenen Jahres wies die Grenzwacht 3526 Personen zurück.
«Die meisten der in diesem Jahr zurückgewiesenen Personen wollten die Schweiz nur als Transitland benutzen», sagte der Sprecher der Eidg. Zollverwaltung, David Marquis, auf Anfrage.
Der Grossteil war aus Italien gekommen und hatte zuvor die riskante Flucht über das Mittelmeer überlebt. Nun sind hunderte Migranten in der norditalienischen Kleinstadt Como gestrandet.
Sie campieren unter freiem Himmel und warten auf eine Gelegenheit, die Schweiz zu durchqueren in Richtung Deutschland oder Skandinavien. Auch in Mailand sollen inzwischen gemäss dem Bürgermeister 3000 von der Schweiz abgewiesene Migranten campieren.
«Jeder, der aufgegriffen wird, wird auch erfasst», sagte Marquis. «So bemerkt der Zoll, wenn jemand mehrmals versucht, die Grenze zu übertreten. Statistisch ist dies jedoch nicht erfasst, da es technisch zu aufwendig ist.»
Insgesamt wurden in der Schweiz in den ersten sieben Monaten des Jahres 22'181 rechtswidrig eingereiste Menschen aufgegriffen, 7582 allein im Juli. Im gleichen Zeitraum des Vorjahres waren es nur 13'213.
Die meisten der illegal Eingereisten stammten aus Eritrea. Auch aus Gambia, Afghanistan, Nigeria und Somalia kamen viele. Bei 1284 Menschen machten die Grenzwächter lediglich ein Kreuz auf dem Formular: Nationalität unbekannt.
Amnesty International kritisierte inzwischen die vielen Rückweisungen nach Italien: «Wir sind besorgt über Berichte von Minderjährigen, die nach eigenen Angaben an der Schweizer Grenze wieder nach Italien zurückgeschickt wurden und an der Weiterreise zu ihren Familienangehörigen in der Schweiz gehindert wurden», sagte AI der Nachrichtenagentur Reuters.
Angesichts der prekären Lebensbedingungen für Flüchtlinge in Como sei es inakzeptabel, besonders verletzliche Menschen abzuweisen. «Die Schweiz hat die Verpflichtung, in jeden Fall die UNO-Konvention zum Schutz des Kindes zu respektieren.» Die Schweiz hat die Konvention 1997 ratifiziert.
Im Frühjahr begann im Mittelmeer die neue «Fluchtsaison». Nach Schätzungen der Internationalen Organisation für Migration kamen bislang über 260'000 Flüchtlinge und Migranten über das Meer. Italien erreichten bis August 100'244 Menschen. Über 3100 Menschen kamen bei der riskanten Fahrt in oft seeuntauglichen Booten ums Leben.
Wie viele der Überlebenden sich auf den Weg Richtung Norden machen wollen, weiss niemand. Der Tessiner Staatsrat Norman Gobbi (Lega) forderte aber bereits vom Bundesrat «ein klares Signal, dass die Schweiz kein Transitland für Flüchtlinge Richtung Norden» sei.
Gobbi erhofft sich davon weniger Druck auf das noch «offene Tor zwischen dem Mittelmeer und dem Norden», wie er am Dienstag im Westschweizer Fernsehen RTS sagte. Welches Signal er erwartet, sagte er nicht.
Am Mittwochabend stellte Gobbi in Chiasso den Medien Pläne für ein temporäres Zentrum für Wegzuweisende in Rancate bei Mendrisio vor, für das der Kanton Geld vom Bund erhält. Diese Einrichtung in einem Industriegebiet soll Ende August bereit sein und Zivilschutzanlagen ersetzen, die bisher zu diesem Zweck genutzt wurden.
Der Kanton reagiert mit diesen bereits Anfang August angekündigten Plänen auf die steigende Zahl von illegal Eingereisten. Das Zentrum soll die Verfahren vereinfachen, und es ist laut den Behörden auch für unbegleitete Minderjährige gerüstet.
Die Wegzuweisenden sollen laut der Mitteilung des Staatsrates lediglich für eine Nacht in Rancate untergebracht werden. Gemeint sind laut Gobbi Menschen, die in der Schweiz kein Asylgesuch stellen wollen. Das Gesetz sehe vor, dass diese Menschen nach Italien zurückgeschickt werden müssten.
Nach Italien kann die Schweiz die illegal Eingereisten zurückweisen, weil die beiden Staaten ein Rückübernahmeabkommen abgeschlossen haben.
Zurückgewiesen wird, wer keinen gültigen Ausweis und kein Visum vorweisen kann und in der Schweiz kein Asyl beantragen will. Weitere Gründe sind zu wenig Geld für einen Aufenthalt in der Schweiz, ein Landesverweis oder laut Ausländergesetz «eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung sowie die internationalen Beziehungen der Schweiz». (hot/sda)