Sie kamen mit dem Reisecar. Ganze Familien einer ungarischen Roma-Siedlung hielten Anfang Woche vor dem Empfangszentrum in Vallorbe. Sie ersuchten um Asyl, weil die Häuser in ihrer Heimatstadt Miskolc einem Stadionprojekt weichen müssten. Laut der Westschweizer Tageszeitung «Le Matin» kündigten die Roma an, sie seien nur die Vorhut. Hunderte weitere Clans erwögen ebenfalls die Flucht in die Schweiz.
Die Szenen erinnern an diejenigen im Jahr 2007, als 280 rumänische Roma über den Monat Mai verteilt im Basler Empfangszentrum Bässlergut ankamen und um Asyl ersuchten. Viele von ihnen erklärten sich bereit, sofort wieder abzureisen und ihr Asylgesuch zurückzuziehen, wenn sie ihre Rückkehrhilfe in Form von Reisegutscheinen und mehreren hundert Franken Bargeld erhalten würden.
Untypisch an diesem Besuch war, dass er im Mai stattfand und besonders offensichtlich war die Absicht, nur die Rückkehrhilfe abholen zu wollen.
Denn mit einiger statistischer Zuverlässigkeit kamen die Asylsuchenden aus den neuen osteuropäischen EU-Staaten im Spätsommer oder Anfang Herbst. Nachdem die Visumspflicht für diese Staaten weggefallen war, stieg die Zahl der Asylgesuche aus diesen Staaten und insbesondere auch aus Serbien jeweils im Herbst markant an. Die Angestellten in den Empfangszentren nannten das Phänomen «Überwinterungs-Asyl».
Die Leute kamen, um für ein paar Monate in der Schweiz beziehungsweise im Asylverfahren zu bleiben, um zu Hause Lebenshaltungskosten zu sparen, die nötigsten medizinischen Behandlungen in Anspruch zu nehmen und um die Rückkehrhilfe zu kassieren.
So verdoppelte sich die Zahl der Personen, die Rückkehrhilfe erhielten, zwischen 2008 und 2010 von 1052 Personen auf 2171 Personen.
Ende 2011 setzte der Bund eine Taskforce ein, nachdem die Visumspflicht auch für Serbien, Mazedonien und Bosnien gefallen war, und die Zahl der ankommenden Asylbewerber aus diesen Ländern explodierte. Deren aussichtslose Asylgesuche wurden ab August 2012 innert 48 Stunden geprüft und die Asylsuchenden bei einem abschlägigen Bescheid mit einem Einreiseverbot belegt. Das Rückreisegeld wurde komplett gestrichen.
«Diese Massnahmen wirken, die üblicherweise im Herbst zunehmenden Asylgesuche aus den genannten Ländern haben markant abgenommen», sagt Celine Kohlprath vom Bundesamt für Migration (BfM). Mittlerweile wird das 48-Stundenverfahren auf alle Asylsuchenden aus den Staaten Serbien, Mazedonien, Bosnien, Kosovo und Georgien angewandt.
Die untenstehende Grafik mit Daten aus der Asylstatistik zeigt, dass der jeweils im Spätsommer und Herbst verzeichnete steile Anstieg der Asylgesuche zum letzten Mal im Herbst 2012 stattgefunden hat.
Bis zu den Roma aus Ungarn, die nun eingereist sind, scheint sich die Aussichtslosigkeit ihres Unterfangens, in der Schweiz Asyl und Unterstützung zu erhalten, allerdings nicht herumgesprochen zu haben. Bürger aus EU-Staaten werden ähnlich schnell abgefertigt, wie diejenigen aus den oben genannten. Zwar werde «jedes Asylgesuch individuell behandelt», sagt BfM-Mitarbeiterin Kohlprath. Aber: «Die Chancen sind für europäische Staatsbürger generell gering.»
Die einzige Möglichkeit für die Ungarn, in der Schweiz zu verbleiben, sei entweder über eine Arbeitsstelle zu verfügen oder über genügend finanzielle Mittel, um sich einen touristischen Aufenthalt von höchstens 90 Tagen leisten zu können. Der Erfahrung nach erfüllen laut Kohlprath jedoch «die meisten Asylsuchenden aus Europa diese Kriterien nicht».