Die vermasselte CO2-Abstimmung hat das Fass zum Überlaufen gebracht. Nach fünf Jahren an der Parteispitze wirft die FDP-Präsidentin Petra Gössi das Handtuch. Die Schwyzerin steht für den grünen Schwenker in der Klimapolitik, den die Freisinnigen vor den Wahlen 2019 vollzogen hatten und der mit dem neuen CO2-Gesetz festgezurrt werden sollte. Zwar stützte damals eine Mitgliederbefragung den «grünen» Kurs der Parteispitze. Zahlreiche FDP-Exponenten waren aber insbesondere wegen der Klima-Subventionen «not amused» über die Vorlage. So auch das Solothurner FDP-Urgestein Kurt Fluri, der seit 18 Jahren im Nationalrat sitzt. «Ich erwarte, dass man einen neuen Kurs in der Klimapolitik einschlägt». Unter dem Eindruck der Klimastreik-Bewegung habe sich die Partei – und wohl auch die Basis – zu stark von Emotionen leiten lassen. Nun habe man die Rechnung dafür erhalten.
Ein «frisches, unverbrauchtes Gesicht» fordert auch FDP-Politker Alain Schwald, der als Kampagnenleiter des «liberalen Komitees für eine wirksame Umweltpolitik» gegen das CO2-Gesetz kämpfte. Zuletzt habe die FDP das Verliererimage nicht mehr abschütteln können. «Jetzt braucht es einen Neuanfang», so der Zürcher, der dem radikal-liberalen Flügel zuzuordnen ist. Die FDP müsse sich wieder auf die Themen konzentrieren, bei denen sich die Partei einig sei. Dies sei zuletzt beim CO2-Gesetz und dem Rahmenabkommen nicht der Fall gewesen. Vielmehr sollte sich die Partei jetzt auf Kernthemen wie die Altersvorsorge konzentrieren. «Wir müssen den Fokus auf Einigkeit legen.»
Dezidiert anderer Meinung ist Susanne Vincenz-Stauffacher, Präsidentin der FDP-Frauen. «Die Umwelt ist und bleibt eines unserer Kernthemen. Eine Abkehr davon wäre ein grosser Fehler», so die St. Gallerin. Als staatstragende Partei könne man Umwelt- und Klimaschutz nicht einfach aus dem Portfolio streichen. «Wir können uns sicher nicht nur auf jene Themen fokussieren, wo wir uns einig sind.» Wichtig sei nun, in der Nachwahlbefragung bei den Parteimitgliedern genau nachzufragen, wo der Schuh gedrückt habe. Und nun intensive Debatten zu führen, um als Partei eine Stimme zu finden und diese dann nach aussen zu tragen.
So schnell werden sich die Klima-Gräben innerhalb der FDP nicht zuschütten lassen, denn das Thema bleibt auf der Agenda. «Diese Zerreissprobe wäre zu verhindern gewesen», sagt der Berner FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen, der sich wiederholt gegen den Klima-Kurs von Gössi stellte. Er habe schon 2019 an die Partei appelliert, trotz der Klimastreik-Bewegung kühlen Kopf zu bewahren. «Eines ist klar: Mit der ganzen Subventionitis und Umverteilung muss jetzt Schluss sein».
Für Diskussionsstoff bei den Freisinnigen ist also gesorgt. Der Zürcher FDP-Nationalrat Andri Silberschmidt hingegen geht nicht von einer inhaltlichen Kursänderung in der Klimapolitik aus. So oder so sei es noch zu früh, darüber zu sprechen. Denn diese Entscheide seien damals von der Basis mit breiter Unterstützung abgesegnet worden.
Silberschmidt wäre eines dieser unverbrauchten Gesichter, welche die FDP-Negativspirale womöglich stoppen könnten. «Jung, klug, positiv. Einer, der über die Social-Media-Kanäle etwas bewegt»: Die NZZ am Sonntag hat Silberschmidt als Kandidaten für das FDP-Präsidium ins Spiel gebracht. Doch Silberschmidt nimmt sich postwendend aus dem Rennen. Er sei mitten im Aufbau seiner beruflichen Karriere. «Zum anderen kommt diese anspruchsvolle Aufgabe für mich einfach zu früh», schreibt er auf Twitter.
— Andri Silberschmidt (@andrisilbi_) June 14, 2021
Aus Sicht des Politologen Michael Hermann müsste nun ein Vertreter der rechteren, konservativeren Fraktion die Verantwortung übernehmen, wie er der Nachrichtenagentur Keystone-SDA sagte. Diese Vertreter hätten Gössi bei wichtigen Themen ausgebremst und nun gewonnen. Als Vertreter der genannten Fraktion zählte Hermann den St. Galler Nationalrat Marcel Dobler, den Luzerner Ständerat Damian Müller oder den Aargauer Ständerat Thierry Burkart. Müller allerdings hatte sich dezidiert für das CO2-Gesetz engagiert.
Susanne Vincenz-Stauffacher hat offenbar noch nicht bemerkt, dass die FDP längst keine staatstragende Partei mehr ist.