So hätten sie alle gern, die freisinnige Bundesrätin: staatstragend und pflichtbewusst, mediengewandt und mehrsprachig, dossierfest und kompromissbereit. Es sind Attribute, die wie Versprechen an Karin Keller-Sutter haften.
Wer sich unter der Bundeshauskuppel umhört, darf eigentlich keine Zweifel haben. Selten, so scheint es, war die Sache derart klar. Keller-Sutter, 54, Ständerätin und frühere Regierungsrätin, diplomierte Dolmetscherin und Tochter eines Wirtepaars, ist die perfekte Kandidatin für den freiwerdenden Sitz im Bundesrat.
KKS, wie sie in ihrer Heimat genannt wird, sagt Sätze wie: «Ich finde es wichtig, Demut und Distanz zu sich selber zu haben.» Nach dem Rücktritt von Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann richten sich alle Augen auf sie – erst recht, nachdem sich Parteipräsidentin Petra Gössi nicht zur Wahl stellen will. «Ich stehe für eine Kandidatur nicht zur Verfügung», sagt die Schwyzer Nationalrätin. Noch ist niemand offiziell auf das FDP-Kandidatenkarussell aufgesprungen. Einzig der Schaffhauser Regierungsrat Christian Amsler hat öffentlich sein Interesse angemeldet.
Gössi wünscht sich jedoch, dass die Partei eine Frau ins Rennen schickt. Und auch wenn sie betont, man wolle den Kandidatenkreis nicht künstlich einschränken, drängen die Ostschweiz und die Zentralschweiz am lautesten darauf, wieder in den Bundesrat einzuziehen. Dieser Anspruch macht ihnen niemand streitig.
Beste Voraussetzungen also für die St. Gallerin Karin Keller-Sutter. Mit 29 schaffte sie es in den Wiler Gemeinderat, mit 33 wurde sie in den Kantonsrat gewählt, mit 36 folgte der Sprung in die Kantonsregierung, mit 47 in den Ständerat. Eine Ochsentour nach Lehrbuch. Folgt nun der Wechsel in den Bundesrat?
Keller-Sutter wurde und wird in den Himmel gehoben. «Ich sehe derzeit nichts, was ihr noch im Weg stehen könnte», sagt der Berner Nationalrat und FDP-Vizepräsident Christian Wasserfallen. Sein Solothurner Ratskollege Kurt Fluri sieht Keller-Sutter «klar in der Pole-Position».
Und selbst Petra Gössi, die sich an einer Medienkonferenz ihrer Partei eigentlich nicht zu konkreten Personalien äussern will, lässt sich auf Nachfrage entlocken: «Rein vom Profil her hat sie die besten Voraussetzungen.» Allerdings müsse die «hervorragende Kandidatin» natürlich selbst entscheiden, ob sie sich zur Verfügung stelle.
Ja, will Keller-Sutter überhaupt? Fürs Erste geht sie auf Tauchstation. Wobei das nicht im Wortsinn zu verstehen ist – als Ständeratspräsidentin kann man schwer abtauchen. Keller-Sutter ist da und doch unerreichbar. Kerzengerade sitzt sie an diesem Mittwoch im Saal der kleinen Kammer, ihr Rücken berührt die Stuhllehne kaum je. Souverän und nüchtern führt sie durch die Ratsdebatten; in drei Landessprachen, wenn es sein muss.
Während der Session gleicht das Bundeshaus einem Bienenhaus. In den Pausen kann Keller-Sutter den Fragen von Kollegen und Journalisten nicht entweichen. Wie schon tags zuvor gibt es von ihr jedoch keinen Kommentar zu ihren Ambitionen. Sie will nach der Session zuerst einmal in die Ferien fahren und sich mit ihrem Umfeld besprechen.
Taktisch gesehen, kann das nur richtig sein. KKS muss sich nicht äussern, ihr Name zirkuliert ohnehin. Wer sich zu forsch exponiert, hat bereits verloren.
Allerdings: Die Bedenkzeit dürfte bei Keller-Sutter nicht bloss Koketterie sein. Als es im Herbst 2010 um die Nachfolge von Bundesrat Hans-Rudolf Merz ging, verlor sie ausgerechnet gegen Schneider-Ammann. Nach ihrer Nichtwahl schloss sie eine erneute Kandidatur mehrfach deutlich aus. In den vergangenen Monaten dann wollte sie nicht mehr darüber sprechen, was vieldeutig interpretiert werden kann.
Die Niederlage vor acht Jahren hinterliess Kratzer – sie ist das Trauma der Karin Keller-Sutter. Eine erneute Nichtwahl würde ihr lange anhaften.
Das Thema ist heikel. So heikel, dass sich freisinnige Parlamentarier dazu lieber nicht namentlich zitieren lassen. «Sie wird sich gut überlegen, ob sie sich das nochmals antut», sagt ein FDP-Nationalrat. Man dürfe sie nun ja nicht verheizen, mahnt ein anderes Fraktionsmitglied.
Ob die Partei eine Mehrfachkandidatur anpeilt, entscheidet die Fraktion erst im November. Ein Zweiterticket gilt, entsprechend den Gepflogenheiten von Bundesratswahlen, als wahrscheinlichstes Szenario.
Oder setzt die FDP am Ende gar alles auf die Karte KKS? Noch mag niemand diese Forderung offensiv portieren. Doch für den Aargauer Nationalrat Matthias Jauslin etwa ist klar: «Nur weil andere Parteien ein Zweierticket verlangen, muss man dem noch lange nicht nachkommen.»
Karin Keller-Sutter wird kräftig Rückhalt spüren wollen, bevor sie über ihre Kandidatur entscheidet. So viel steht fest. Die Voraussetzungen dafür sind immerhin sehr gut: 2010 war sie, damals noch Regierungsrätin, vielen Linken zu rechts. Als Justizdirektorin fuhr sie einen harten Kurs in Asyl-Fragen, sie wurde gar als «Blocher im Jupe» betitelt.
Im Ständerat politisiert Keller-Sutter nun in den Kommissionen für Aussenpolitik, Wirtschaft und Soziales, längst ist sie ein politisches Schwergewicht. Freund und Feind loben ihre Fähigkeit, Kompromisse schliessen zu können. Mit SP-Mann Paul Rechsteiner, der zu ihren Fürsprechern zählt, bildet sie das St. Galler «Ständerats-Dream-Team».
Skepsis kommt heute eher von rechts. In der SVP gilt Keller-Sutter nicht wenigen als zu brillant. Ihr staatsmännisches Auftreten wirke auf manche etwas überheblich, so formuliert es SVP-Fraktionsvizechef Felix Müri. Echte Kritik tönt wahrlich anders.