Wer auf Politklamauk steht, wurde an jenem 21. September 2016 grossartig unterhalten: Es ging im Nationalrat um die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative, die vorberatende Kommission hatte beschlossen, die Personenfreizügigkeit stärker zu gewichten als eine strikte Umsetzung des Verfassungstextes.
Die SVP wusste, dass ihre Verschärfungsanträge scheitern würden. Aber wenn schon untergehen, dann immerhin mit wehenden Fahnen! Vor laufenden TV-Kameras inszenierten die SVP-Wortführer also gekonnt eine Show, wie man sie hierzulande bislang nicht kannte.
Szenischer Höhepunkt: Die Brandrede von Fraktionschef Adrian Amstutz, der sich die Parlamentarier anderer Parteien gleich reihenweise vorknöpfte und sie als «Totengräber der Demokratie» bezeichnete.
Dabei hielt er ein dickes Buch in die Höhe und sagte: «Sie haben auf diese Verfassung geschworen oder das Gelübde abgelegt. Es wäre gut, wenn Sie 30 Sekunden in sich kehren und sich mal überlegen würden, was Sie da heute anstellen!»
Wie das Westschweizer Fernsehen RTS am Dienstag enthüllte, handelte es sich aber gar nicht um eine geltende Verfassung. Amstutz, der gestern telefonisch nicht erreichbar war, präsentierte ein Buch über die Geschichte der Schweizer Verfassungen. Es wurde 1891 vom Berner Professor Carl Hilty geschrieben und liegt in der Parlamentsbibliothek auf.
Die neuste darin enthaltene Verfassung ist diejenige von 1874. Ironie der Geschichte: Zu diesem Zeitpunkt gab es das Mittel der Volksinitiative noch gar nicht.