Schweiz
Gesellschaft & Politik

Coronavirus: Warum Kurzarbeit-Unternehmen weiter Dividenden zahlen dürfen

Die Staenderaete Maya Graf, GP-BL, Pirmin Bischof, CVP-SO, Hannes Germann, SVP-SH, und Hansjoerg Knecht, SVP-AG, von links, diskutieren waehrend der ausserordentlichen Session der Eidgenoessischen Rae ...
Der Ständerat stimmte im Gegensatz zum Nationalrat gegen ein Dividendenverbot.Bild: KEYSTONE

Wie das Dividendenverbot für Kurzarbeit-Firmen scheiterte – in 7 Punkten

07.05.2020, 06:4107.05.2020, 13:42
christoph bernet, Maja Briner / ch media
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Es war eines der umstrittensten Geschäfte: Der Ständerat versenkt das Dividendenverbot für Firmen, die Kurzarbeit beantragen. Eine Geschichte in sieben Kaptiteln.

Die Vorgeschichte

Angeheizt hat die Debatte insbesondere ein Fall: Die Titlis-Bergbahnen entschieden Ende März, trotz Kurzarbeit Dividenden für das Jahr 2019 auszuschütten. «Wir haben ausreichend Liquidität und brauchen auch keine Staatshilfe», verteidigte Verwaltungsratspräsident und FDP-Ständerat Hans Wicki den Entscheid. Auch andere Unternehmen machten wegen des gleichen Vorgehens Schlagzeilen.

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Die Linke nimmt den Ball auf

«Es ist unanständig, wenn Firmeneigentümer Gewinne ausschütten und gleichzeitig Staatshilfe beziehen», sagt SP-Nationalrätin Mattea Meyer auf Anfrage von CH Media. «Die Gewinne privat, die Verluste dem Staat» – dieses verantwortungslose Verhalten gehöre gestoppt.

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Mattea Meyer (rechts) versuchte, die Dividendenausschüttung zu stoppen.Bild: KEYSTONE

Meyer bringt in der zuständigen Kommission einen Antrag ein: Unternehmen, die für ihre Angestellten wegen der Coronakrise Kurzarbeitsentschädigungen beziehen, sollen 2020 und 2021 keine Dividenden auszahlen dürfen. Das Verbot soll rückwirkend gelten: Betroffen wären auch bereits getätigte Ausschüttungen im laufenden Jahr. Eine deutliche Mehrheit in der Kommission unterstützt dies.

Der Coup des Nationalrats

Am späten Dienstagabend kommt der Paukenschlag: Der Nationalrat stimmt der Motion zu – trotz Warnungen der Gegner. Die Motion verfehle ihr Ziel und verursache «einen erheblichen Kollateralschaden», sagte FDP-Nationalrat Marcel Dobler.

Ein Dividendenverbot könnte dazu führen, dass Firmen auf Kurzarbeit verzichten – und ihr Personal stattdessen entlassen, mahnten die Gegner unter anderem. Zudem sei die Kurzarbeit keine Subvention des Staates, sondern eine Versicherungsleistung. Auch der Bundesrat stellt sich gegen die Motion. Der Nationalrat nimmt sie dennoch mit 93 zu 88 Stimmen an.

Das Entsetzen der Gegner

Verbände wie Swissholdings, aber auch die kantonalen Volkswirtschaftsdirektoren appellieren an die kleine Kammer, die Motion zu versenken. Bürgerliche Ständeräte sind empört.

Er sei «entsetzt», dass diese Motion im Nationalrat eine Mehrheit gefunden habe, sagt etwa Ruedi Noser (FDP): «Das ist reiner Populismus. Mattea Meyer dokumentiert damit, dass sie keine Ahnung hat vom realen Leben.» Ökonomisch sei ein solches Dividendenverbot Unsinn. «Wenn eine Firma Kurzarbeitsentschädigung beantragt, heisst es nicht, dass es ihr schlecht geht. Sondern, dass sie zu wenig Arbeit hat.»

Dividenden seien auch nichts Schlechtes, im Gegenteil. Würden keine Dividenden ausgeschüttet, könnte dies den Aktienkurs nach unten treiben – und eine Firma dadurch schwächen, gibt er zu bedenken.

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FDP-Ständerat Ruedi Noser (rechts) kritiserte Meyer für ihren Vorschlag.Bild: KEYSTONE

Der Rettungsversuch

Besonders umstritten an der Motion ist die Rückwirkung: Das Verbot sollte auch für Firmen gelten, die im laufenden Jahr bereits eine Dividende gesprochen oder gar ausgeschüttet haben.

Um die Motion im Ständerat durchzubringen, will SP-Ständerätin Marina Carobbio Guscetti die Rückwirkung streichen. Das Vorhaben scheitert. Die Kommission empfiehlt das Dividendenverbot mit 9 zu 3 Stimmen zur Ablehnung.

Das nüchterne Ende

Mit dem klaren Votum der Kommission ist das Dividendenverbot schon so gut wie gescheitert, als der Ständerat am Mittwochnachmittag im Plenum darüber entscheidet. Erich Ettlin (CVP) zählt nüchtern die Bedenken der Kommissionsmehrheit auf.

Ex-Gewerkschaftspräsident Paul Rechsteiner (SP) hält dagegen: Eine Verkäuferin mit 4000 Franken Monatslohn müsse bei der Kurzarbeit noch mit 3200 Franken auskommen und «gehe auf dem Zahnfleisch».

Es sei stossend, wenn Unternehmen von ihren Mitarbeitenden Opfer verlangten und gleichzeitig Dividenden im grossen Stil ausschütteten. Sein Appell nützt nichts: Der Ständerat lehnt das Dividendenverbot mit 31 zu 10 Stimmen ab.

Sturm im Wasserglas?

Damit ist das Dividendenverbot vorerst gescheitert. Doch hat das Parlament ein Signal an die Unternehmen gesandt: Wer Staatsgelder für Kurzarbeit erhält, soll sich beim Ausschütten von Dividenden zurückhalten.

Sind die Firmen nicht einsichtig, könnte das Thema noch einmal auf den Tisch kommen. Vor allem wenn die Arbeitslosenversicherung wegen der Kurzarbeit zusätzliche Milliarden aus dem Bundeshaushalt benötigt, womit gerechnet werden muss.

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61 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Aurak_567
07.05.2020 08:39registriert März 2016
Herr Noser verwechselt seine Verwaltungsratsmandate und Parlamentarierprivilegien wohl mit dem realen Leben.

Diese legale Form der Korruption die einige Bürgerliche praktizieren ist sehr schädlich für die Demokratie und kann nicht mehr akzeptiert werden.
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FrancoL
07.05.2020 08:47registriert November 2015
«Das ist reiner Populismus. Mattea Meyer dokumentiert damit, dass sie keine Ahnung hat vom realen Leben.»

Ach und der Winkt mit den Entlassungen ist was genau?

Mir scheint Herr Noser hat seine übliche Brille auf und erachtet seine Welt als die reale Welt.
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RicoH
07.05.2020 09:57registriert Mai 2019
Wer hätte das gedacht: die bürgerlichen setzen sich ein für "Gewinn ist privat" und "Verlust ist staatlich".

Wann hören die bürgerlichen endlich auf, Geld nach oben zu verteilen und ihre Verantwortung gegenüber dem Volch zu übernehmen?
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