Ein bisschen nachdenklich sitzt Johann Schneider-Ammann auf der Rückbank der Bundesratslimousine, während uns sein Chauffeur durch die an diesem späten Donnerstagabend menschenverlassenen Strassen Langenthals fährt.
«Solche Abende», bedauert der FDP-Bundesrat, «gibt es in meinem Leben fast gar nicht mehr.» Gut zwei Stunden lang ist Schneider-Ammann zuvor an der 100-Jahr-Feier der Firma Motorex geblieben, auch wenn er zuvor schon an einem anderen Firmenjubiläum im aargauischen Reinach war und zum Ende dieses heissen Sommertags so erschöpft war, dass er während der Verabschiedungszeremonie noch einmal kurz hatte absitzen müssen.
Beim Schmierstoffhersteller mit dem grünen Fass genoss der Wirtschaftsminister ein Heimspiel: Seit 1981 wohnt er selbst in Langenthal, seit seiner Wahl in den Bundesrat vor sieben Jahren ist er Ehrenbürger des Oberaargauer Städtchens.
So gut gelaunt wie diesmal hat man den 65-Jährigen lange nicht mehr gesehen: Mit Peter Regenass, dem sechs Jahre älteren Motorex-Patron, dereinst ebenso ins Unternehmen eingeheiratet hatte wie er selbst ins Maschinenbauunternehmen Ammann, witzelte Schneider-Ammann über gestrenge Schwiegerväter. Und den Mitarbeitern des Unternehmens rief er zu: «Nicht ich gratuliere zum Jubiläum, die Landesregierung tut es. Denn immer, wenn es ums Feiern geht, darf ich im Namen des Bundesrates sprechen.» Schmunzelnd fügte er hinzu: «Bei politischen Botschaften ist das nicht immer so.»
Überhaupt wirkt Schneider-Ammann diese Woche locker und gelöst, wohin auch immer man ihn begleitet. Freut er sich über die Rücktrittsankündigung Didier Burkhalters, mit dem er zwar das Parteibuch teilt, über entscheidende politische Fragen aber immer wieder gestritten hat?
Äussern mag er sich zu solchen Fragen nicht. Der auf ihm lastende Druck jedenfalls ist durch die Demission des Aussenministers nicht kleiner geworden: Gemäss einer «SonntagsBlick»-Umfrage wollen 69 Prozent der befragten 1100 Stimmbürger, dass auch Schneider-Ammann seinen Platz räumt.
Für eine Doppelvakanz sprechen sich auch zwei Drittel der FDP-Sympathisanten aus. Von der Parteileitung erhält der Angezählte wenig Rückendeckung. Diese Frage stelle sich nicht, wiederholt Präsidentin Petra Gössi bloss auf allen Kanälen. Denn: «Schneider-Ammann ist bis zum Ende der Legislatur in zweieinhalb Jahren gewählt.» Was man von ihr nicht gehört hat: «Wir sind froh, einen derart fähigen Wirtschaftsminister zuhaben.»
Die seit Jahren auf ihn einprasselnde Kritik gehe Schneider-Ammann nah, auch wenn man ihm dies kaum anmerke, sagen seine engsten Wegbegleiter. In seiner Entourage, aus der sich keiner zitieren lassen will, genauso wie in der Partei.
«Hannes ist sensibler als andere Bundesräte», sagt der Solothurner Nationalrat Kurt Fluri. «Er leidet, weil er sich oft ungerecht behandelt fühlt.» Davon ist auch der Berner Christian Wasserfallen überzeugt: «Er ist seinen Mitmenschen gegenüber sehr korrekt und erwartet umgekehrt, dass auch er korrekt behandelt wird. Wird er zum Gespött, macht ihn das zu Recht sehr betroffen.»
Sein Unternehmen habe er früher als Patron durch alle Stürme gelenkt. «Als Bundesrat regiert er nun mit dem gleichen Pflichtgefühl: Er ist keiner, der in Deckung geht, nur weil er von Medien und politischen Gegnern angegriffen wird.» So schätzt ihn auch der Aargauer Ständerat und ehemalige FDP-Präsident Philipp Müller ein: «Hannes ist ein Kämpfer. Er gibt bei Gegenwind erst recht nicht auf.»
Im vergangenen Jahr war Schneider-Ammann nicht nur Wirtschafts-, Bildungs- und Forschungsminister, sondern zusätzlich Bundespräsident. Rastlos jettete er um die Welt: Nicht weniger als 24 Auslandreisen absolvierte er und besuchte dabei 22 Länder. Er bezahlte es mit seiner Gesundheit. Richtiggehend gefährlich wurde die Situation im Spätsommer, als sich Schneider-Ammann eine Rippe brach und wegen ungeheurer Schmerzen sechs Wochen kaum schlafen konnte. «Ich hatte damals grosse Angst um ihn», sagt ein Wirtschaftsboss, der sich regelmässig mit dem Bundesrat trifft. «Er wirkte derart ausgelaugt, dass ein Kollaps unmittelbar bevor zustehen schien.»
Im Präsidialjahr habe sich Schneider-Ammann zu viel zugemutet, findet auch die Baselbieter SP-Nationalrätin Susanne Leutenegger Oberholzer, die als WAK-Präsidentin oft mit dem Magistrat zusammentrifft. «Sein Sekretariat müsste versuchen, stärker zu triagieren. Auch ein Bundespräsident muss nicht jeder Einladung folgen.» Bloss: Drei Personen aus Schneider-Ammanns Umgebung bestätigen unabhängig voneinander, ihr Chef bestehe auf einem derart dichten Programm und lasse sich weder von seinen Mitarbeitern noch von den schlechten Erfahrungen des vergangenen Jahres beirren.
Die Agenda der vergangenen fünf Tage spricht Bände: Schneider-Ammann trat in Bern (mehrmals), Genf, Lausanne (mehrmals), Langenthal, Reinach und Zürich auf, dazwischen nahm er am Mittwoch an der Bundesratssitzung teil. Und als Höhepunkt führte er gestern den vom Schweizer Bildungssystem schwer beeindruckten belgischen König Philippe in Baden durch die ABB Turbo Systems AG und das Berufsbildungszentrum Libs. Schneider-Ammann war in den Werkhallen sichtlich stolz auf die Schweizer Technologie und später, beim Round-Table-Gespräch mit der ausländischen Delegation, sichtlich müde.
Warum tut sich Schneider-Ammann all das bloss an? Ob am Montag beim Kongress des Fachverbandes Arbeitsintegration in Bern, am Donnerstag bei Motorex in Langenthal oder gestern bei ABB in Bern: Überall trat der 65-Jährige als Überzeugungstäter auf, der seine Mission noch nicht als erfüllt erachtet. Im Gegenteil: Nicht nur will er Industrie und Unternehmertum vor Angriffen von links und aus dem Ausland schützen, vor allem will er sie fit machen für die Zukunft. Mitte Woche forderte er vom Gesamtbundesrat via Medien 150 Millionen Franken, um die Herausforderung Digitalisierung zu meistern.
Von einem Rücktritt will Schneider-Ammann nichts wissen. Demnächst fahre er immerhin in die Ferien, sagt er. «Nach Russland, Indonesien, Saudi-Arabien und in die USA.» In Moskau, Jakarta, Riad und Washington wird er freilich nicht die Beine hochlagern. Vielmehr reiht er innerhalb von acht Tagen vier Staatsbesuche aneinander. Aber wie sagt doch Schneider-Ammann, bevor er gestern in Baden in den Helikopter steigt, der ihn zum nächsten Termin in Lausanne bringt: «Ich war nie einer, der seine Sommerferien auf dem Liegestuhl am Strand verbracht hat – auch vor meiner Wahl in den Bundesrat nicht.»
Stolz und müde: Johann Schneider-Ammann (Mitte) besuchte gestern mit dem belgischen König Philippe (links) die ABB in Baden.
ABER: Seine Forderung Mitte Woche gegenüber dem Gesamtbundesrat 150 Millionen Franken in die digitale Bildung zu investieren, finde ich einen starken wie auch wichtigen Schritt in die richtige Richtung. Dafür gibt's von mir ein grosses BRAVO!
Ein bisschen weniger Polemik um potentiell frei werdende Bundesratssitze wäre evt. (seitens Medien, teils aber auch seitens Politiker) angebracht.