Schweizer Mütter und ihr Baby bleiben nach der Entbindung durchschnittlich vier Tage im Spital. Viel zu lange, findet David Baud, Chefarzt der Gynäkologie und Geburtshilfe des Universitätsspitals Lausanne. Deshalb will Baud den frisch gebackenen Müttern nur noch 72 Stunden in seiner Abteilung gewähren, wie er der Zeitung Le Temps verriet.
Zum Vorbild nimmt sich der Arzt Grossbritannien. Die Britinnen verweilen für gewöhnlich nur 2,5 Tage im Spitalbett. Prominentes Beispiel: Herzogin Kate Middleton. Nach der Geburt von Prinzchen Louis Anfang Mai verliess sie das Spital nach nur sieben Stunden.
David Baud: «Aus rein medizinischer Sicht gibt es keinen Grund, in der Geburtsabteilung zu bleiben, wenn alles gut gelaufen ist.» Zum einen riskierten Mutter und Kind zu Hause keine Krankenhausinfektionen. Zum anderen sei es für sie besser, sich nach der Entbindung in einem vertrauten und ruhigen Umfeld zu bewegen. «Im Spital ist es oft lärmig, weil die anderen Patienten nach dem Pflegepersonal klingeln oder die Babys weinen», so der Arzt.
Viele Mütter wünschen sich nach der Geburt aber Unterstützung. Baud: «Sie können das Weinen ihres Kindes nicht deuten, wissen nicht, wie sie sich organisieren sollen, oder sie bekommen es mit der Angst zu tun.» In solchen Fällen sei eine psychologische Betreuung nötig, die aber «geradeso gut zu Hause bei den Frauen erfolgen könnte». Denn die Pflege soll laut dem Arzt nicht verkürzt, sondern öfters ausgelagert werden: Wie in England seit jeher üblich, könnten laut ihm auch in der Schweiz Hebammen mit vermehrten Hausbesuchen eine tragendere Rolle spielen.
Ähnlich sieht das Roland Zimmermann, Leiter der Klinik für Geburtshilfe des Zürcher Universitätsspitals: «Vieles, was wir im stationären Wochenbett machen, lässt sich auch ambulant organisieren.»
Weshalb bleiben die Schweizerinnen anstatt sich von einer Hebamme helfen zu lassen, trotzdem ganze zwei Tage länger als die Britinnen im Spital? Zimmermann: «Vieles hat einfach Tradition. Und für Veränderungen braucht es Zeit.»
Die Praktiken des britischen Systems zu übernehmen sei aber nicht einfach so möglich, sagt Olav Lapaire, stellvertretender Chefarzt Geburtshilfe und Schwangerschaftsmedizin am Universitätsspital Basel: «Um eine qualitativ gute Betreuung der Frauen zuhause zu gewährleisten, müsste das ambulante Netz, insbesondere der Hebammen, vergrössert werden.» Auch gewisse gesellschaftliche Verhältnisse würden sich als Hindernis entpuppen, so Lapaire: «Eine Wöchnerin sagte uns: ‹Hätte mein Mann einen Vaterschaftsurlaub, könnte ich früher nach Hause gehen.›»
Eine Geburt inklusive Spitalaufenthalt und ärztliche Betreuung kostet hierzulande laut einer Studie des Beratungsunternehmens «Truven Health Analytics» durchschnittlich knapp 7800 Dollar. «Fast so teuer wie bei den Windsors», titelte die Handelszeitung. Denn im St.Mary's Spital in London, wo das neuste Mitglied der britischen Royals das Licht der Welt erblickte, kostet ein Zimmer für das normale Geburts-Paket zwischen 6400 und 8400 Euro.
Das Schweizer Gesundheitssystem ist teuer. So teuer, dass laut dem Direktor des Bundesamts für Gesundheit die Gefahr besteht, «dass wir es an die Wand fahren, wenn wir jetzt nichts Entscheidendes unternehmen». Könnte hier mit kürzeren Spitalaufenthalten nicht auch gespart werden? Dieser Frage haben sich Genfer Gesundheitsökonomen bereits im Jahr 2004 in einer umfassenden Studie gewidmet. Das Fazit fiel jedoch ernüchternd aus: Mit früheren Austritten könnte zwar Geld gespart werden, jedoch seien die Beträge, die netto herausschauen würden, bescheiden.
Fakt ist: So oder so werden Schweizer Spitäler ihre Geburtshilfe überdenken müssen. Denn 2017 wurden so viele Babys geboren wie seit Jahren nicht mehr. Diese Tendenz führt in den Spitälern immer wieder zu Engpässen bei der Belegung von Gebärsälen und Betten.