Wer heute die tiefste Krankenkassen-Franchise wählt, muss jährlich Arztrechnungen bis 300 Franken selber zahlen – plus Selbstbehalt. Erst wenn diese Limite überschritten ist, springt die Krankenkasse ein.
Künftig soll die Grenze angehoben werden – in einem ersten Schritt auf 350 Franken, wie der Bundesrat heute mitteilte. Danach sollen die Franchisen automatisch alle paar Jahre steigen, parallel zur Kostenentwicklung im Gesundheitswesen.
Erklärtes Ziel: Die Bürger sollen eigenverantwortlicher handeln und weniger medizinische Leistungen in Anspruch nehmen. «Da die Versicherten einen grösseren Teil der Kosten übernehmen müssen, werden sie weniger wegen Bagatellfällen ihren Arzt oder ihre Ärztin aufsuchen», schreibt der Bundesrat in einem Bericht zur Vorlage.
Indem der Einzelne im Krankheitsfall mehr zahlt, soll der Prämienanstieg gedämpft und die Allgemeinheit entlastet werden. Die Kosten in der Grundversicherung haben sich in den letzten 20 Jahren mehr als verdoppelt.
Die Pläne des Bundesrats gehen auf eine Motion von CVP-Ständerat Ivo Bischofberger zurück – und stossen im Parlament auf breite Zustimmung. Allerdings gehen sie vielen bürgerlichen Politikern nicht weit genug.
Geht es nach BDP-Präsident Martin Landolt, soll die tiefste Franchise auf 400 Franken angehoben werden. SVP-Nationalrat Ulrich Giezendanner denkt an einen Mindestbeitrag von 500 Franken. Die entsprechenden Vorstösse sind derzeit im Parlament hängig.
Noch radikaler ist der Vorschlag von Felix Schneuwly, Krankenkassen-Experte beim Onlinevergleichsdienst Comparis. Er schlägt eine Anhebung der tiefsten Franchise auf 3000 Franken vor – das entspräche einer Verzehnfachung.
In dem Fall käme die Versicherung «nur noch für die Behandlung ernsthafter Erkrankungen» auf, argumentierte Schneuwly, der sich beim Bündnis Freiheitliches Gesundheitswesen engagiert. «Günstige Hausarzt- oder Apothekenkosten müsste jeder selber tragen.» Der Experte schätzt, dass dadurch die Prämien aller Versicherten um etwa einen Fünftel gesenkt werden könnten.
«Mit dem Geld, das die Kantone dadurch bei den Prämienverbilligungen einsparen, könnten Personen mit tiefen Einkommen und chronisch Kranke entlastet werden», so Schneuwly.
Die Aussagen schrecken linke Gesundheitspolitiker auf. «Die Absender dieser Forderungen blenden die Lebensrealität von Menschen mit tiefen Einkommen komplett aus», ärgert sich SP-Nationalrätin Silvia Schenker. Das «Gebahren» zeige, wie schlecht sich gewisse Bürgerliche in die Situation von Familien versetzen könnten, die bei einer Arztrechnung in dreistelliger Höhe ins Schleudern kommen.
«Am Ende verzichten Personen mit tiefem Einkommen einfach auf Arztbesuche – und ernsthafte Erkrankungen werden zu spät erkannt», befürchtet die Baslerin. Bereits heute zahlten die Schweizer Versicherten im internationalen Vergleich viel aus der eigenen Tasche. Höhere Franchisen führten nicht zu mehr Eigenverantwortung, sondern verlagerten die Kosten lediglich, argumentiert sie.
Die SP arbeitet derzeit an einer Prämien-Entlastungsinitiative aus, welche die Krankenkassenprämien pro Haushalt auf maximal 10 Prozent des Einkommens beschränken will.
In seinem Bericht geht auch der Bundesrat auf die Situation von Menschen mit tiefen Einkommen ein. «Die Erhöhung der Franchisen wird wahrscheinlich mehr Versicherte dazu veranlassen, Sozialhilfe zu beantragen.»
Dies hält auch Krankenkassen-Experte Schneuwly für problematisch. «Es kann nicht sein, dass die Sozialhilfe hier einspringen muss – dafür gibt es Prämienverbilligungen.» Allerdings, kritisiert Schneuwly, machten manche Kantone ihren Job nicht richtig. «Wenn die Kantone ihre Prämienverbilligungsbeiträge zurückfahren, während die Prämien unaufhaltsam steigen, läuft etwas falsch.»