Den blanken Horror erlebt Martina Heim* am 18. Mai im Universitätsspital Zürich: Nach einer Mandeloperation liegt sie im Spitalbett, als kurz vor Mitternacht plötzlich schwere Blutungen auftreten.
«Ich dachte, ich verblute. Es lief mir ein ganzer Schwall aus dem Mund heraus», sagt die 23-jährige Zürcherin zu watson. Verzweifelt drückt sie den Notfallknopf am Spitalbett. Immer und immer wieder.
Doch es taucht keine Pflegeperson im Einzelzimmer auf, wie das Universitätsspital später bestätigt. 30 Minuten vergehen. «Wegen des vielen Blutes wurde ich langsam paranoid», sagt Heim. Sie steigt aus dem Bett, läuft in den Gang und ruft um Hilfe. «Nirgendwo war Licht, kein Mensch weit und breit.»
Die Verzweiflung wächst. Da wählt Heim die Notfallnummer 144, obschon sie bereits im Unispital liegt. «Es tönt absurd. Aber es war für mich die einzige Möglichkeit, Hilfe zu holen.»
Der 144-Mitarbeiter versucht dann ebenfalls, telefonisch jemanden auf der entsprechenden Station zu erreichen. Vergeblich. Darauf alarmiert die Notrufzentrale eine Person, die sich bereits im Unispital befindet. Sie taucht rund 10 Minuten später auf und bringt Heim zu einer Ärztin. Da hatte sich die Blutung glücklicherweise schon beruhigt.
Drei Tage später kann Martina Heim das Spital verlassen. Doch der Schock sitzt noch immer tief. «An dem Ort, wo ich mich am sichersten fühlten sollte, war ich völlig verloren. Das darf nicht sein».
Für Barbara Züst, Geschäftsführerin der Stiftung für Patientenschutz, ist klar: «Mir scheint, dass die Patientin gut gehandelt hat mit ihrem Anruf bei 144. Es ist allerdings nicht annehmbar, wenn sich Patienten nach einer OP innerhalb der Klinik an den Notruf 144 wenden müssen».
Wie ist es aber überhaupt möglich, dass ein Patientenruf innerhalb des Spitals ungehört bleibt? Auf Anfrage von watson spricht das Universitätsspital von einer «unglücklichen Verkettung verschiedener Umstände», die zu diesem «bedauerlichen Vorfall» geführt hätten.
Die zuständige Pflegefachfrau sei zum entsprechenden Zeitpunkt wegen eines Notfalls in einem anderen Bereich der Station gewesen. Für solche Situationen sei vorgesehen, dass der Patientenalarm via einer Rufanlage in das Stationszimmer übertragen werde. «Der Patientenruf wurde aber in diesem Fall wegen eines technischen Defekts nicht ausgelöst», sagt Barbara Beccaro, Mediensprecherin des Unispitals Zürich. Inzwischen sei die gesamte Rufanlage auf der Station überprüft worden.
Aber wie kann es sein, dass die Station während der Nacht gar nicht besetzt war? Fehlt dem Unispital das Personal? Nachts werden routinemässig alle zwei Stunden ein Rundgang durch die Patientenzimmer durchgeführt, so Beccaro weiter. Aber wie für viele andere Spitäler der Schweiz sei es auch für das Unispital Zürich nicht leicht, genügend Pflegefachpersonen zu rekrutieren. «Der Betrieb wird so organisiert, dass die Sicherheit der Patienten nicht beeinträchtigt ist», sagt Beccaro.
Martina Heim ist inzwischen wieder zu Hause. Die Ärzte haben sich inzwischen bei ihr entschuldigt. «Ich bin einfach froh, ist nichts schlimmeres passiert», sagt die Zürcherin.
*Name geändert