Da ist Tamy Glauser, das Top-Model, das sich bei den Grünen besonders wohl fühlt. «Politisch sind wir praktisch deckungsgleich», sagt sie. «Sie teilen die Werte, die mir am Herzen liegen.»
Da ist aber auch die 74-jährige Frau, die Grünen-Präsidentin Regula Rytz schrieb, sie habe erstmals grün gewählt. Die Klima-Demonstrationen gäben Hoffnung auf Veränderungen. Und dafür vertraue sie den Grünen besonders. Und da ist Xavier Challandes, ehemaliger SVP-Grossrat des Kantons Neuenburg. Der Weinbauer schloss sich 2017 den Grünen an: «Die Grünen sind die einzige Partei, die seit ihrer Gründung den Planeten verteidigt – und auch die sozialen Werte.»
Die Grünen sind die Partei der Stunde. In den bisher 23 kantonalen Wahlen seit 2015 legten sie kumuliert um 1.7 Prozent Wähleranteil zu und um 41 Parlamentssitze. Ihre Gewinne sind praktisch deckungsgleich mit den Verlusten der SVP. Diese büsste 1.9 Prozent Wähleranteil und 41 Parlamentssitze ein.
Die Grünen gewinnen nicht, weil SVP-Wähler überlaufen. Sondern, weil sie neue Wähler mobilisieren. Das schreibt Politologe Claude Longchamp. Zu den Neu-Wählern gehören Junge, Frauen und Bauernvertreter.
Die grüne Welle ist eingebettet in einen Boom der Grünen in ganz Europa. Er hängt mit der Angst vor dem Klimawandel zusammen und der breiten Akzeptanz für eine nachhaltige Umweltpolitik. 2018 legten die Grünen in Bayern um 9 und in Hessen um 8.7 Prozent zu. In den Städten Amsterdam und Utrecht wurden sie zur stärksten Kraft, in Brüssel zur zweitstärksten.
In der Schweiz kommt das Hoch aus dem Westen. «Die Grünen haben die politische Landschaft der Westschweiz regelrecht umgepflügt», sagt Lukas Golder, Co-Leiter von GfS Bern. «Ihre dramatischen Gewinne wurden in der Deutschschweiz fast nicht wahrgenommen.» In Freiburg verdoppelten die Grünen ihre Sitze, im Wallis legten sie von 2 auf 8 Sitze zu, in Neuenburg von 12 auf 17, in Genf von 10 auf 15.
Die wirtschaftliche Dynamik gehe heute in der Westschweiz ab, sagt Golder. Dieses Wachstum verursacht Verkehrsprobleme, und hier haben die Romands Nachholbedarf, weil sie den öffentlichen Verkehr zu wenig stark förderten. «Deshalb favorisieren sie Umweltthemen.» 2018 schafften die Grünen im sportverrückten Wallis ein Nein der Bevölkerung zu «Sion 2026». Zudem stützten Westschweizer Kantone die drei grünen Initiativen. Genf nahm alle an: Atomausstieg (2016), grüne Wirtschaft (2016) und Fairfood (2018). Waadt, Neuenburg und Jura sagten Ja zu Atomausstieg und Fairfood.
Spätestens mit den Zürcher Kantonalwahlen hat sich diese Dynamik auf die Deutschschweiz übertragen. Das hängt mit den Klima-Demonstrationen der Jugendlichen zusammen. «Dass die Bewegung auf der Strasse die Gesellschaft derart wachgerüttelt hat, überrascht auch mich. Es ist eine völlig neue Dynamik entstanden», sagt Grünen-Präsidentin Rytz. «Wir stehen in einer Umbruchsituation.»
Parallel dazu profitieren die Grünen vom Frauenboom, der 2019 spürbar wird. Im Zürcher Kantonsrat sitzen seit den Wahlen im März 40.6 Prozent Frauen, im Baselbieter Landrat 40 Prozent und im Kanton Luzern 34.2 Prozent. «Bisher lag die gläserne Decke für den Frauen-Anteil bei 30 Prozent», sagt Rytz. «Doch jetzt gibt es einen grossen Sprung. Das hängt mit der wieder erwachten Frauenbewegung zusammen.»
Klima- und Frauenfrage verstärken sich gegenseitig. Davon ist die grüne Nationalrätin Maya Graf, Co-Präsidentin von Alliance F, überzeugt. «Das Frauenwahljahr korreliert mit dem Thema Klima und Nachhaltigkeit, weil Frauen längerfristiger und sachbezogener denken», sagt sie. «Diese Themen passen gut zusammen.» Das wiederum verstärkt die Sogwirkung in Richtung Grüne. «Die Klimabewegung der Jungen und die Frauenstreik-Bewegung führt zu einer Politisierung von starken Wählergruppen», sagt Rytz. «Sie priorisieren jene Parteien, die ihre Themen schon lange auf der Agenda haben.»
Umweltpolitik ist seit der Gründung 1983 politischer Schwerpunkt der Grünen. Genauso wie Frauenpolitik. Die linke «Wochenzeitung» (WoZ) bezeichnete die Grünen 2017 als «Avantgarde» der Gleichstellung. Ihre Parteistatuten sind ausschliesslich in weiblicher Form gehalten, in den Parteigremien sitzen 50 Prozent Frauen. Und die Grünen hatten sechs Präsidentinnen. Monica Zingg (BE, 1985/86) war die erste.
Der Erfolg der Partei fusst auch auf einer starken Vernetzung etwa mit der Clean-Tech-Wirtschaft oder mit dem Verband der Bäuerinnen und Landfrauen. In Zukunft wollen sich die Grünen noch stärker vernetzen, etwa mit den europäischen Schwesterparteien.
Top-Model Tamy Glauser weiss noch nicht, ob sie sich im Oktober auf die Nationalrats-Liste der Grünen setzen lassen will. Was sie aber weiss: «Ich werde mit den Grünen zusammenarbeiten.» Denkbar sei, dass sie für die Grünen politische Themen zu den Menschen transportiere, «die sich sonst nicht für Politik interessieren».
Sie würde damit für die Grünen Wähler mobilisieren, die bisher nicht an die Urne gehen. Das Erfolgsrezept der Grünen von heute .