Er habe nach seiner Wahl zum St.Moritzer Gemeindepräsidenten Hunderte von SMS erhalten, sagt Christian Jenny. Viele würden ihm schreiben: «Jetzt gibt es einen Grund, seine Papiere in St.Moritz zu haben oder heimzukommen.» Es gebe sogar Leute, die überlegen würden, jetzt in St.Moritz zu investieren. «Das Verrückte ist, dass auch internationale Reaktionen dabei sind», erzählt der Zürcher, der keiner Partei angehört. Er hat am Sonntag im Duell um das Gemeindepräsidium den bisherigen Amtsinhaber Sigi Asprion geschlagen.
Sigi Asprion dankt den 822 Stimmen https://t.co/Ib6xylqViv pic.twitter.com/06Rgq2dGLy
— Südostschweiz (@suedostschweiz) 7. Oktober 2018
Dessen Partei, die FDP, hatte den Newcomer Jenny im Vorfeld der Wahl als politisch unerfahren und polarisierend kritisiert. Doch nach dem Ergebnis – Jenny erzielte 894, Asprion 822 Stimmen – gratulierten die Freisinnigen dem Sieger. Ebenso wie die SVP-Ortspartei: Jenny habe «durch seinen Mut Farbe ins politische Umfeld gebracht».
Der 40-Jährige hatte seine Kandidatur damit begründet, dass er von jungen St.Moritzerinnen und St.Moritzern dazu motiviert worden sei. Er nehme seit einigen Jahren eine gewisse Unzufriedenheit in der Bevölkerung wahr. Vom einstigen Pioniergeist, der St.Moritz zur Marke von Weltformat gemacht habe, sei nicht mehr viel zu spüren, sagte er.
Entsprechend gross sind jetzt die Erwartungen an den neuen Gemeindepräsidenten. Jenny dämpft sie gleich selbst: «Ich bin weder der Deus ex Machina noch der Heilsbringer», sagt er, «aber wenn die Leute wieder Lust, Freude und Hoffnung haben, wenn ich eine Haltung in und zu St.Moritz ändern konnte, dann haben wir die Hälfte schon gewonnen.»
Im Engadin kennt man ihn vor allem als Organisator des Festival da Jazz in St.Moritz, das er vor elf Jahren gegründet hat. Es strahlt inzwischen international aus. Wie aber soll es nun mit dem Festival weitergehen, das untrennbar mit dem Namen Jenny verbunden ist? «Ich habe bereits im Sommer zwei neue Mitarbeiter angestellt», erklärt der Initiant. Er habe im Hinblick auf die allfällige Wahl zum Gemeindepräsidenten vorgespurt. Jenny sieht diesen Schritt als Chance für die Veranstaltung: «Frischer Wind ist sowieso gut für das Festival.» Nach elf Jahren mache sich ein gewisser Trott breit. Ganz loslassen will er aber nicht: Er werde dem Festival weiterhin als Pate im Hintergrund zur Verfügung stehen «und künftig in meiner Freizeit ein wenig über die Programmgestaltung nachdenken».
Was aber will Jenny als Gemeindepräsident erreichen? Sein Wahlkampfslogan lautete: «St.Moritz kann es besser». Allein könne er nichts erreichen, er zähle auf die Bevölkerung und den Gemeindevorstand, betont Jenny. Beim Gemeindevorstand handelt es sich um die fünfköpfige Exekutive. Er wird am kommenden Sonntag gewählt. Jenny wünscht sich neue Persönlichkeiten im Vorstand. Er glaubt, dass das kommunale Parteizeitalter ausgedient hat. «Man muss künftig vielleicht mehr in Interessengruppen weiterdenken», sagt er. Es gehe um gescheite Köpfe und nicht um eine Partei.
Jenny hofft, dass seine Wahl ein Barometer für die Gemeindevorstandswahlen ist: «Ich bin nicht grundsätzlich gegen das alte Wissen, dieses ist hervorragend und wir müssen es mitnehmen, aber wir können nicht nur mit altem Wissen weiterfahren», sagt er. Die Parteien müssten darum offen sein, einen neuen Weg einzuschlagen.
Etwas ist schon passiert: Die CVP teilte unmittelbar nach Jennys Wahl mit, dass ihr bisheriger Gemeindevorstand Maurizio Pirola nicht mehr kandidiere. Für die SVP steigt mit Martin Berthod ein bekannter Kopf ins Rennen. Berthod ist langjähriger Direktor von St.Moritz Tourismus, Sport und Events.
Im Engadin erwartet man nun mit Spannung, wie sich Jennys Wahl auswirken wird. Sein Kommunikationsberater, PR-Profi Christian Gartmann, beschreibt die Stimmung so: «Einheimische und Gäste freuen sich auf einen neuen Schub für die weltweite Ausstrahlung ihrer alpinen Topdestination.» Und das Graubündner SP-Aushängeschild Jon Pult meint: «St.Moritz hat ein demokratisches Aufbäumen erlebt.»
Jenny will nicht gänzlich zum Berufspolitiker werden. Als Sänger und Kulturmanager werde er weiterhin «gewisse Sachen» machen. «Andere Gemeindepräsidenten sind in ihrer Freizeit im Turn- oder Schützenverein», sagt er, «ich bin dann halt einfach im ‹Musikverein›.» Und vielleicht wird er ja bald ein Filmstar. Eine der vielen Reaktionen am Sonntag kam nämlich von Regisseur Michael Steiner. Jetzt werde er einen Film über St. Moritz machen, schrieb er Jenny.