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Konfusion statt Fusion: Bei den Mitte-Parteien herrscht Zoff

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Mitte-Politiker träumen von der Fusion – die Realität heisst Konfusion

Die politische Mitte muss sich nach ihrer Niederlage bei den Wahlen neu aufstellen. Diverse Szenarien kursieren, bis zu einer Fusion. Die Parteichefs aber bekriegen sich gegenseitig.
03.11.2015, 10:4304.11.2015, 09:09
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Nach den Wahlen vom 18.Oktober wurde in den Medien heftig über eine mögliche Allianz der Mitteparteien spekuliert. Ziel: Die Sicherung des Bundesratssitzes von Eveline Widmer-Schlumpf (BDP). Mit deren Verzichtserklärung auf eine erneute Kandidatur am letzten Mittwoch hat sich dieses Thema erledigt – die Mitte scheint nicht bereit, den Sitz um jeden Preis verteidigen zu wollen.

Die Träume von einer Zusammenarbeit oder gar Fusion im politischen Zentrum aber leben weiter. Der Solothurner CVP-Nationalrat Stefan Müller-Altermatt hat in der «Schweiz am Sonntag» sein Konzept für eine neue Mitte-Partei «Die Moderaten» dargelegt, bestehend aus CVP, BDP und GLP. Nach den Wahlen biete sich «eine historische Chance, die Mitte zusammenzuführen», schreibt Müller-Altermatt in einem Beitrag, den er als «persönliche Sicht» deklariert hat.

CVP-Nationalrat Stefan Müller-Altermatt hofft auf eine neue Mitte-Partei.
CVP-Nationalrat Stefan Müller-Altermatt hofft auf eine neue Mitte-Partei.
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Eine Alternative zu diesem Konzept brachte die «NZZ am Sonntag» ins Spiel: Den Zusammenschluss der BDP mit der FDP. Als «Kronzeuge» dient der Politologe Claude Longchamp: «Die BDP würde von der politischen Positionierung und von ihrer Kultur her besser zur FDP passen als zur CVP», sagte Longchamp mit Verweis auf die Smartvote-Profile der Fraktionen. BDP-Präsident Martin Landolt schloss im Interview mit watson eine Annäherung an die FDP nicht aus. Diese habe «mit der Mitte thematisch viel mehr Gemeinsamkeiten als mit der SVP».

Abgrenzung statt Annäherung

Realistisch sind diese Gedankenspiele derzeit nicht: Die Mitte-Parteien sind eher auf Abgrenzung voneinander bedacht, ihre Präsidenten kultivieren gegenseitige Eifersüchteleien. Statt Fusion herrscht Konfusion. Dabei wäre Handlungsbedarf vorhanden: Während die FDP am 18. Oktober erstmals nach 36 Jahren wieder Stimmengewinne verzeichnen konnte, gehörten die übrigen Mitte-Parteien zu den Verlierern. Am glimpflichsten kam die CVP davon, mit einem Sitzverlust im Nationalrat. Nach jahrzehntelangem Niedergang ist das jedoch keine Kunst.

Begonnen hatte es ganz gut: Am Mittwoch nach den Wahlen unterhielten sich die Parteipräsidenten Christophe Darbellay (CVP), Martin Bäumle (GLP) und Martin Landolt (BDP) erstmals über die Möglichkeit einer vertieften Zusammenarbeit. EVP-Präsidentin Marianne Streiff-Feller war gemäss «NZZ am Sonntag» ebenfalls eingeladen, aber beruflich verhindert. Zu einem konkreten Ergebnis führte das Gespräch nicht, es soll aber in angenehmer Atmosphäre stattgefunden haben.

Offene Wunden

Die kalte Dusche folgte am Sonntag danach. In einem Interview mit «Le Matin Dimanche» anerkannte CVP-Präsident Christophe Darbellay nicht nur den Anspruch der SVP auf einen zweiten Sitz im Bundesrat, er attackierte auch die möglichen Partner. Die Weigerung der BDP vom letzten Jahr, mit der CVP eine Union zu bilden, habe ebenso Spuren hinterlassen wie die Aufkündigung der gemeinsamen Fraktion durch die Grünliberalen nach deren Wahlerfolg 2011.

Vertrauensbasis erschüttert: GLP-Chef Martin Bäumle am 18. Oktober im Interview mit watson.
Vertrauensbasis erschüttert: GLP-Chef Martin Bäumle am 18. Oktober im Interview mit watson.
Bild: KEYSTONE

GLP-Chef Martin Bäumle bestätigte in der «Aargauer Zeitung» vom Samstag, dass die Vertrauensbasis erschüttert sei: «Die Diskussionen über Unionen, Fusionen und dann der Rückzieher der BDP haben Wunden hinterlassen. Auch zwischen CVP und GLP gibt es offene Wunden.» Sein Vertrauen zu FDP-Chef Philipp Müller sei «ziemlich nahe am Nullpunkt», legte Bäumle nach: «Wie er sich bei der Energiestrategie, bei unserer Initiative und dem Gegenvorschlag verhalten hat, grenzt für mich an unfaires Verhalten. Das nehme ich ihm übel.»

«Ja, die Union ist an unserer Basis gescheitert, aber das ist nun einmal so», bestätigte BDP-Präsident Landolt im Interview. Sein Verständnis für die CVP hält sich in Grenzen: «Ich begreife das stetige Klagelied über die gescheiterte Union nicht ganz. Es gibt genügend Varianten für eine verstärkte Zusammenarbeit.» Landolts Partei ist in einer heiklen Lage: Nach dem Verlust von Zugpferd Widmer-Schlumpf muss sie zeigen, ob sie sich sich langfristig im Schweizer Parteienspektrum halten kann oder als Fussnote in die Geschichte eingehen wird.

Neue Sitzverteilung im Bundesrat?

Ansätze für eine Allianz gäbe es durchaus, zum Beispiel die Sitzverteilung im Bundesrat. Ein Bündnis aus CVP, GLP, BDP und EVP könnte Anspruch auf den zweiten FDP-Sitz anmelden. Umgekehrt könnten die Freisinnigen diesen sichern, wenn sie sich mit der BDP (oder den Grünliberalen) verbündeten. Auch in der Sachpolitik könnten solche Mitte-Vereinigungen gegenüber links und rechts deutlich mehr Gewicht auf die Wagschale legen.

Die Zeit dafür scheint aber nicht reif. «In diesem Jahr macht es wirklich keinen Sinn mehr, irgendetwas zu wursteln», sagte Martin Bäumle der «Aargauer Zeitung». Man solle warten, «bis der Pulverdampf der Wahlen abgezogen ist». Der Horizont von Stefan Müller-Altermatt reicht noch weiter: Es stehe wohl eine «Übergangslegislatur» bevor, in der die Erkenntnis reifen könne, «dass ein einziges Dach wohl genügen würde».

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Ob die BDP und vor allem die Grünliberalen sich dieser Erkenntnis beugen und auf ihre Eigenständigkeit verzichten werden, ist mehr als fraglich. Martin Landolt scheint wild entschlossen, mit seiner BDP einen eigenen Weg zu gehen, in vollem Wissem um das Risiko: «Wenn wir 2019 wieder verlieren, gibt es keine Ausreden mehr.» Noch ist der Traum von einer starken Mitte-Partei nicht mehr als genau das: Ein Traum.

Soll die SVP einen zweiten Sitz im Bundesrat erhalten?

Eveline Widmer-Schlumpf: Ihre Karriere in Bildern

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Eveline Widmer-Schlumpf: Ihre Karriere in Bildern
Eveline Widmer-Schlumpf wird am 16. März 1956 in Felsberg geboren. Sie besucht die Bündner Kantonsschule in Chur, die sie 1976 mit der Matura abschliesst. Anschliessend studiert sie an der Universität Zürich Rechtswissenschaften und legt 1981 das Lizenziat ab.
quelle: keystone / arno balzarini
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