Schweiz
Homosexualität

6 Opfer von LGBT-Verbrechen erzählen, was ihnen passiert ist

Beschimpfungen, Bedrohungen, Gewalt: Homosexuelle und Transmenschen werden oft Opfer von Verbrechen aus Hass.
Beschimpfungen, Bedrohungen, Gewalt: Homosexuelle und Transmenschen werden oft Opfer von Verbrechen aus Hass.Bild: Shutterstock

«Stirb, Schwuchtel!»: Opfer von LGBT-Verbrechen erzählen, was ihnen passiert ist

Severin Miszkiewicz
Severin Miszkiewicz
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Auf der neuen LGBT+ Helpline melden sich täglich Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder ihres Geschlechts beschimpft, bedroht oder verprügelt werden. Der Leiter der Helpline meint, dass LGBT-Verbrechen in der Schweiz viel zu wenig präsent sind. watson hat mit Opfern gesprochen, die ihre Geschichten öffentlich machen wollen.
09.02.2017, 17:4325.05.2018, 09:55

Joel, 20, trans*

«Selbstbewusst und stolz trug ich einen Rock. Er hat mir einfach gefallen und ich fühlte mich unendlich elegant darin, fast so, als ob ich leicht schweben würde. Auf dem Heimweg wurde ich von einer Gruppe junger Männer eingekesselt – aggressive Männer zwischen 17 und 19 Jahren: Sie begannen, mich im Kreis herum zu schubsen und riefen: ‹Stirb, Schwuchtel!› Plötzlich drückten sie mich zu Boden, rissen mir meinen Rucksack weg und klauten mir mein Geld. Als sie davonliefen, verabschiedeten sie mich mit den Worten: ‹Jetzt weisst du, was passiert, wenn du einen Rock anziehst.› Ich ging zur Polizei und erzählte ihnen vom Vorfall. Ich bestand darauf, dass das Verbrechen als ‹Hate Crime› erfasst wird, doch sie meinten, so eine Kategorie gäbe es gar nicht.»
«Sie begannen, mich im Kreis herum zu schubsen und riefen: ‹Stirb, Schwuchtel!›»

Ivan, 44, schwul

«Das ist jetzt 20 Jahre her, aber ich werde den Vorfall nie vergessen. In den 90ern ging ich mit meinem Bruder, der ebenfalls schwul ist, und einer guten Freundin in den Ausgang. Wir haben uns ziemlich aufgebrezelt und waren heiss auf eine langersehnte Party. Wir warteten in Wollishofen (Zürich) aufs Tram, als uns plötzlich eine Gruppe angetrunkener junger Männer auf der anderen Strassenseite auffiel. Es waren etwa zehn Männer aus Ex-Jugoslawien, die immer wieder zu uns rüber blickten. Sie zeigten mit dem Finger auf uns und riefen Beleidigungen: ‹Schwuchteln› oder ‹fette Sau›. Plötzlich kamen sie rüber und fingen an, uns rumzuschubsen. Vor allem unsere Freundin, die etwas fest war, wurde Ziel ihrer Aggressionen. Wir stellten uns zwischen sie und wollten sie abwehren – dann drehten sie durch. Sie prügelten mit voller Kraft auf uns ein. Wir kriegten Faustschläge ins Gesicht und den Magen, bis wir am Boden lagen. Wir hatten keine Chance – zehn total aggressive Männer gegen uns drei. Im Hintergrund hörten wir ein Grüppchen junger Frauen, die sie dabei anfeuerten. Als sie fertig waren, gingen sie grölend weg. Unserer Freundin haben sie die Tasche geklaut, meinem Bruder ein blaues Auge verpasst und mir haben sie die Nase gebrochen. Wir waren total fertig, sind dann aber trotzdem noch an die Party gegangen. Etwas Gutes sollte der Abend ja doch noch bringen.»
«Unserer Freundin haben sie die Tasche geklaut, meinem Bruder ein blaues Auge verpasst und mir die Nase gebrochen.»

Anna, 54, Transfrau

«‹Transe! Transe! Transe!› – einmal mehr wurde ich letzte Woche zielsicher von einer Gruppe männlicher Jugendlicher aufs Korn genommen. Wie meistens reagierte ich darauf nicht mehr. Sinnlos. Verletzen tut's mich trotzdem immer noch und ich frage mich jedes Mal: Was haben die Jungs davon? Wieso brauchen sie das? Was ist ihr Gewinn? Spass? Gemeinschaftsgefühl? Abwehr? Selbstsicherheit? Auf jeden Fall fordert sie meine Präsenz zu einer Reaktion heraus. Die einen, indem sie mich sexuell anmachen, die anderen, indem sie mich anpöbeln. Beides braucht meinerseits viel Energie und verunsichert mich in meinem labilen Selbstverständnis. Wieso könnt ihr mich nicht einfach in Ruhe leben lassen?»
«Verletzen tut's mich trotzdem immer noch und ich frage mich jedes Mal: Was haben die Jungs davon?»

Christoph, 25, schwul

«Ich spazierte mit einem Freund durchs Niederdorf (Zürich). Mein Freund ist zwar auch schwul, aber wir waren kein Paar und zeigten keinerlei Anzeichen dafür. Wir umarmten uns nicht, wir hielten nicht Händchen und wir küssten uns nicht. Plötzlich kam uns ein junger Mann entgegen und murmelte: ‹Scheiss Schwuchteln›. Am Akzent konnte ich erkennen, dass er aus dem Balkan stammt. Ich wurde unglaublich wütend und konnte mich den ganzen Tag nicht mehr beruhigen. Das ist mir schon das zweite Mal im Niederdorf passiert.»
«Ein junger Mann kam uns entgegen und murmelte: ‹Scheiss Schwuchteln›.»

Sandro, 29, schwul

«Ich outete mich ziemlich früh und so wussten in der Oberstufe alle, dass ich auf Männer stehe. In meiner eigenen Klasse war das kein Problem. Die kannten mich ja. Von den anderen Teenagern in der Schule wurde ich aber fortan täglich drangsaliert. Immer wieder hörte ich, wie mir jemand ‹Schwuchtel› nachrief und im geschlechtergetrennten Turnunterricht wurde ich immer als Letzter in die Gruppe gewählt. Es war hart, aber ich ignorierte es. Ich wollte diese Typen nicht konfrontieren, weil ich dachte, dass es dann nur noch schlimmer wird. Ich stand dazu, dass ich schwul bin und hatte einen kleinen Freundeskreis, der mir treu war. Wir waren nicht die coolste Clique, aber es waren meine besten Freunde. Die Schule ist ein Ort, wo man in einen Topf mit verschiedenen Menschen geworfen wird und mit denen auskommen muss. Zum Glück ging die Oberstufe nur drei Jahre.»
«In der Schule wurde ich täglich drangsaliert.»

Florian, 26, schwul

«Ein kurzer Rückblick auf das Zürifest. Wir laufen vom Niederdorf zum Bellevue. Eine Gruppe Frauen ruft uns nach: ‹Wäh, seid ihr schwul!› Im Café Felix am Benefizanlass für Pink Cross wird einer von uns auf dem Herrenklo von einem Mann blossgestellt: ‹Das ist nicht das Frauenklo!› Auf dem Weg vom Bellevue zum Heaven Club werden wir angerempelt. Vor dem Club spricht uns ein Mann an: ‹Seid ihr schwul? Warum wollt ihr keine Fotzen ficken?› Wir sagen ihm, er solle gehen. Er kommt später mit einer Gruppe zurück und spricht uns nochmals an: ‹Ihr seid so vollschwul und es macht euch nichts aus?› Einige von uns haben einen guten Abend und können es locker wegstecken. Ich hatte einen anstrengenderen Tag. Wir machen uns auf den Nachhauseweg, mit geballten Fäusten, aus Wut und aus Angst. Das ist auch Zürich, das ist die Schweiz.»
«Seid ihr schwul? Warum wollt ihr keine Fotzen ficken?»

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Ein Transmensch erzählt im SRF, wie die Menschen auf ihn reagieren: 

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116 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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moedesty
09.02.2017 18:28registriert Oktober 2016
homophobe menschen sind meiner meinung nach minderintelligent oder kommen mit sich selbst nicht zurecht. am besten ignorieren, ist die beste waffe.
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Meffi
09.02.2017 20:55registriert Januar 2017
Werde ich wohl nie verstehen, wieso man hasst, wenn zwei menschen sich lieben.
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Calvin Whatison
09.02.2017 18:51registriert Juli 2015
Auffallend ist ja, sie treten in Gruppen an/auf.
Einfach nur traurig.
Intolerant und Respektlos.

Und dass in der heutigen Zeit. !!! :((
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